Nachwuchswissenschaftlerin des Jahres 2023
„Ich habe immer das gemacht, was mich begeistert hat“

Prof. Dr. med. Carolin Schneider

Prof. Dr. med. Carolin Schneider ist die academics Nachwuchswissenschaftlerin des Jahres 2023. © Bettina Engel-Albustin

Prof. Dr. med. Carolin Schneider ist eine der jüngsten Professor:innen Deutschlands – und die Nachwuchswissenschaftlerin des Jahres 2023 von academics. Im Interview erzählt sie, was die Voraussetzungen für einen gelungenen Karrierestart in der Wissenschaft sind, welche positiven Entwicklungen es bei der Vereinbarkeit von Forschung und Familie gibt und weshalb ihr Sichtbarkeit in den sozialen Medien mittlerweile so wichtig ist.

Veröffentlicht: 24.01.2024

Von: Maike Schade

Welche Risikofaktoren und Biomarker begünstigen den Ausbruch von Stoffwechselerkrankungen, vor allem der Leber? Dieser Frage geht Prof. Dr. med. Carolin Schneider mit ihrer Forschungsgruppe an der RWTH Aachen nach. Die erst 28-Jährige ist approbierte Ärztin und Juniorprofessorin – und vereint in ihrer Forschung Medizin mit Data-Science inklusive künstlicher Intelligenz auf besonders innovative, interdisziplinäre Weise. Aus diesem Grunde wurde sie mit dem academics Nachwuchspreis 2023 ausgezeichnet. Wir haben mit ihr gesprochen.

academics: Liebe Carolin, du bist eine der jüngsten Professorinnen Deutschlands. Hast du Tipps für uns Normalsterbliche, was man mitbringen oder machen muss, um eine so rasante Karriere hinzulegen? 
Prof. Dr. med. Carolin Schneider: Ich habe immer das gemacht, was mich begeistert hat. Ich glaube fest daran, dass es entscheidend ist, offen für neue Chancen zu sein und diese zu ergreifen, wenn sie sich bieten. So kann man sich in Situationen bringen, in der sich weitere Türen öffnen können, durch die man dann gehen kann. Diese Offenheit für neue Herausforderungen, kombiniert mit einer tiefen Leidenschaft für das eigene Fachgebiet und den Fortschritt der Medizin, halte ich für grundlegende Voraussetzungen für einen erfolgreiche Karrierestart. 

Das musst du bitte genauer erklären, wie lief das bei dir ab? 
Ich habe nicht von Anfang gesagt: Ich möchte Professorin werden. Sondern ich habe ganz normal angefangen, Medizin zu studieren, das wollte ich schon seit meiner Schulzeit. Während meiner Doktorarbeit habe ich dann festgestellt, dass mir Forschung sehr viel Spaß macht. Ich habe bei einer sehr interessanten klinischen Studie mitgemacht und angesichts der Daten von 500.000 Patientinnen und Patienten gemerkt: Für die Verarbeitung dieser Menge an Daten braucht man bessere Skills, als ich sie bis dahin hatte, mit verarbeitenden Programmen wie beispielsweise Excel kommt man bei großen Datensätzen nicht weit ... So bin ich dann auf das Thema Datenverarbeitung bzw. künstliche Intelligenz gekommen, und das war die Grundlage dessen, weshalb ich diese Position nun habe.  

Wie hast du diese Skills denn dann entwickelt? 
Ich habe mich eingelesen und festgestellt: Es gibt da so viel mehr, das in einem traditionellen medizinischen Studiengang verschlossen bleibt. Ich hatte dann die tolle Möglichkeit, von der DFG gefördert für einige Jahre ins Ausland zu gehen und mich nochmal mit ganz neuen Themenfeldern zu beschäftigen, das war die Grundlage meiner heutigen Forschung. Ich habe mir eine der ganz großen Kohorten ausgesucht und mich einige Jahre lang in erster Linie mit Datenverarbeitung und Programmierung im klinischen Kontext beschäftigt.  

Du hast dir Programmieren mal eben selbst beigebracht?  
Es gibt wirklich sehr viele, sehr gute, kostenlose Onlinetutorials, auch von wirklich großen und hervorragenden Universitäten, in denen man sich mit Programmiersprachen auseinandersetzen kann. Bei mir ging es ja auch nicht um die Entwicklung solcher Methoden, sondern um die Anwendung auf medizinische Probleme im klinischen Kontext.  

Du warst damals an der University of Pennsylvania. Ist ein Auslandsaufenthalt aus deiner Sicht essenziell für eine akademische Karriere? 
Ich kenne viele Forscherinnen und Forscher auf einer ähnlichen Karrierestufe, und da gehen die Meinungen auseinander. Für mich kann ich sagen, dass ich sehr davon profitiert habe. Alleine die vielen Kontakte zu Young Professionals aus der ganzen Welt, die man knüpfen kann! Ich habe auch beispielsweise noch eine Adjunct Professur (außerplanmäßige Professur, apl. Prof., Anm. d. Red.) an der Pennsylvania University, arbeite also weiterhin ein bisschen dort, sodass die Kollaboration aufrecht erhalten werden kann. Wenn man die Chance hat, an eine so große Universität wie die in Philadelphia zu gehen, wo dann mal eben so ein Nobelpreisträger zum Mittagsvortrag kommt, ist das eine großartige Möglichkeit. Deswegen kann ich das allen nur ans Herz legen.  

Hast du einen Tipp, wie man einen so großen Schritt wie einen mehrjährigen Auslandsaufenthalt am besten angeht?  
Leute anschreiben, die das schon gemacht haben. Das ist ja häufig das Problem – wie schreibe ich diesen Antrag, um ins Ausland zu kommen. Da muss man sich einfach mal trauen und eine E-Mail schreiben. Manchmal bekommt man vielleicht keine Antwort, aber meistens freuen sich die Leute, dass sie gefunden wurden. Und die meisten Forschenden erzählen ja auch sehr gerne über ihre Forschung.  

Also mutig sein und einfach mal machen. Und netzwerken, netzwerken, netzwerken?
Ja, wenn man ins Ausland gehen möchte, muss man ja irgendwo hingehen. Und wäre es gut, wenn man entweder eine Arbeitsgruppe schon kennt oder wenn beispielsweise über den Doktorvater oder die Doktormutter ein Kontakt hergestellt werden kann. Oder man schaut in die Literatur, was die Arbeitsgruppen sind, die gerade sehr spannende neue Methoden anwenden. Da ist es dann natürlich toll, wenn man mal auf einer Konferenz war und genau diesen Leuten schon einmal die Hand geschüttelt hat. Die sagen dann: Ach ja, das war doch die, die das tolle Poster vorgestellt hat oder die den guten Vortrag gehalten hat. Ich glaube, das ist sehr wichtig.  

„Ich hätte gerne selbst ein weibliches Vorbild gehabt.“

Prof. Dr. med. Carolin Schneider

Wie wichtig ist Präsenz in den sozialen Medien? 
Ich habe mich lange gegen soziale Medien oder auch LinkedIn gesträubt, aber auch die Sichtbarkeit ist sehr, sehr wichtig. Da hat sich meine Einstellung wirklich um 180 Grad gedreht. Ich hätte gerne selbst ein weibliches Vorbild gehabt, das früh ins Ausland gegangen ist. Für mich war das eine sehr ungewisse Zeit, ein Sprung ins kalte Wasser. Wenn ich da gewusst hätte: Dieser Weg ist möglich, das hat schonmal bei jemandem funktioniert, dann wäre das für mich sehr hilfreich gewesen. Deshalb bemühe ich mich jetzt doch um aktive Sichtbarkeit, um anderen jungen Frauen zu zeigen, dass es diesen Weg gibt, und dass er funktionieren kann.  

In deinem LinkedIn-Profil hast du als eine deiner Kompetenzen Kreativität angegeben. Wofür braucht man die als Wissenschaftlerin? 
Oh, ich glaube, die Wissenschaft ist ein sehr kreativer Prozess! Ich würde sogar sagen, das ist das Schönste an meinem Beruf. Ich habe ja eine große Freiheit in dem, was ich tue. Ich kann mir überlegen: Was ist das nächste Projekt, das ich machen möchte? In welche Richtungen sollen die Doktorarbeiten gehen, die ich vergebe? Oder wenn ich einen Spaziergang mache und darüber nachdenke, was in der Welt gerade passiert und wie ich das mit meiner Forschung verknüpfen kann. Also beispielsweise: Wie wirkt sich der Klimawandel auf die Dinge aus, die ich erforsche? Da immer wieder über den Tellerrand zu schauen, erfordert meiner Meinung nach sehr viel Kreativität. 

Du engagierst dich auch bei TANDEMmed, einem Mentoringprogramm für Medizinstudentinnen...?  
Ich war während des Medizinstudiums selbst Mentee bei TANDEMmed und ich fand es sehr hilfreich, eine Mentorin an der Seite zu haben. Besonders bereichernd fand ich auch, dass man mit anderen motivierten Medizinstudentinnen zusammenkommt und sich auch untereinander austauschen kann auf der gleichen Ebene. Und als mich dann eine ganz tolle Medizinstudentin gefragt hat, ob ich nicht den Job der Mentorin für sie übernehmen möchte, habe natürlich gleich gesagt: sehr gerne.  

Wie gehst du da vor? 
Wir haben regelmäßige Mentoring-Sessions bei einem Kaffee oder einem Mittagessen. Ich helfe ihr dabei, einen ähnlichen Weg einzuschlagen, wie den ich eingeschlagen habe, also die Kombination aus Klinik und Forschung. Es gibt mir selber so viel, dass ich etwas von meinen Erfahrungen weitergeben kann an die nächste Generation, dass ich noch mehr Mentoringprogramme mitgemacht habe. Ich mentore beispielsweise auch eine ukrainische Geflüchtete, die Anschluss in Deutschland sucht.  

Schon gewusst?

Der Zeitverlag hat ein Fellowship-Programm für Nachwuchswissenschaftlerinnen ins Leben gerufen: Zia – Visible Women in Science and Humanities. Es inspiriert, vernetzt und fördert junge Wissenschaftlerinnen. Prof. Dr. med. Carolin Schneider ist eine der Fellows der Kohorte 2023/24. Mehr über Zia erfahren Sie hier. Passend zum Programm gibt es einen academics-Newsletter rund um Frauen in der Wissenschaft. Einfach kostenlos registrieren und abonnieren!

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Vermutlich ist es schon ein ziemlicher Spagat, deine Arbeit als praktizierende Ärztin, als Mentorin und die Forschung im Labor unter einen Hut zu bringen. Kannst du dir vorstellen, das auch noch mit einer Familie, mit Kindern zu vereinbaren? Vor allem mit einem befristeten Vertrag?  
Ja, das ist ein großes Problem in der Wissenschaft. Auch darüber tausche ich mich viel mit anderen jungen Wissenschaftlerinnen aus. Natürlich würden unbefristete Stellen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie beitragen. Ich selbst habe zwar noch keine Kinder, merke aber, dass an den Unis, also gerade auch hier an der RWTH, gerade wirklich viel passiert in dieser Hinsicht, und das sowohl für Frauen als auch für Männer.  

Was denn? 
Oft sind die Kita-Plätze ein großes Problem. Und da hat die Uni hier in Aachen viele Plätze geschaffen, und baut sogar neue Kitas. Dann wird beispielsweise auch die Elternzeit sehr gut umgesetzt, sowohl für Männer als auch für Frauen, da werden keine Fragen gestellt oder diskutiert. Und was mir auch sehr hilft, ist die Vernetzung mit Frauen auf dem gleichen Karrierelevel. Da gibt es eine weitere TANDEM-Förderung, die Frauen in der weiteren Karrierephase zusammenbringt, und die sich dann austauschen und gemeinsam Lösungen finden können für Probleme. Das ist sehr bereichernd und macht mir auch Hoffnung, dass ein gutes Netzwerk da sein wird, wenn bei mir die Familienplanung ansteht.  

Du hast also das Gefühl, die Situation verbessert sich?
Ja, das ist etwas, das die Hochschulen mittlerweile wirklich verstanden haben: Sie versuchen, die Anzahl von Frauen zu erhöhen, die Professuren übernehmen und in der Wissenschaft bleiben und nicht ausscheiden. Alle, mit denen ich mich auf meiner Ebene unterhalte, wollen Work und Life ja irgendwie vereinbaren und gute Bedingungen schaffen für ihre eigenen Mitarbeitenden. Wir haben da in meiner Gruppe wirklich gute Konzepte entwickelt wie zum Beispiel Teilzeitmodelle oder sehr viel Homeoffice für Mitarbeitende mit und ohne Kinder, sodass es zumindest in meiner Arbeitsgruppe sehr gut funktioniert. 

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Ich würde gerne nochmal auf die künstliche Intelligenz zurückkommen. Mit ChatGTP und Co. gab es vergangenes Jahr ja einen großen Umbruch und viel Verunsicherung, auch in der Wissenschaft. Hat sich in deinem Umfeld etwas dadurch verändert, siehst du die Entwicklung als Chance oder als Risiko? 
Wir haben ja schon vorher künstliche Intelligenz eingesetzt, insofern hat sich für uns nicht so viel verändert. Auch wenn Viele vor allem die Risiken sehen, sehen wir vor allem die Chancen. Natürlich muss der Einsatz von KI ethisch korrekt geschehen, man möchte jetzt nicht noch bereits bestehende Biases verstärken und man muss datenschutzkonform handeln. Aber innerhalb dieser Frameworks, die ja jetzt auch von der EU vorgegeben werden, bietet das wirklich große Chancen.  

Welche? 
Ich glaube, dass sich viele neue Forschungsrichtungen entwickeln werden. Generell können wir die Schnelligkeit der Forschung durch die neuen Tools voranbringen, was dann beispielsweise zur schnelleren Entwicklung von Medikamenten führen kann, weil auch Hypothesen sehr schnell getestet werden können.  

Du könntest also beispielsweise sagen: Ich habe die Vermutung, dass es sich positiv auf die Leber auswirkt, wenn Leute sehr viel Spinat essen. Das musst du nicht mehr jahrzehntelang beobachten, sondern nimmst einfach die KI und überprüfst die riesigen Datensätze, ob diese Hypothese richtig ist?
Genau. Für Spinat könnten wir die Analyse sogar direkt durchführen, diese Daten haben wir. Um es jetzt mal etwas überspitzt zu sagen: Wie wirkt sich Spinat auf den Stoffwechsel in der Leber aus, welche Proteine werden durch den Spinatkonsum erhöht? Ist Spinat assoziiert mit bestimmten metabolischen Erkrankungen, oder hängt das eher davon ab, wieviel die Leute sich bewegen, oder ob sie Bio-Spinat oder konventionellen Spinat kaufen? Da haben wir eine große Vielfalt an verschiedenen Datensätzen, und wir sammeln auch noch immer Datensätze ein. Aber ganz ersetzen können wir klinische Studien nicht, denn unsere Analysen stellen immer nur eine Assoziation her, die dann in klinischen Studien oder Zell /Tiermodellen überprüft werden muss. Aber wir können dazu beitragen, dass in diese Ressourcen gezielt eingesetzt werden können. 

Wo und wie sammelt ihr die Datensätze? 
Wir sind in Kontakt mit verschiedenen Konsortien, die diese Datensätze bereitstellen. Ich bin ehrlich gesagt auch ganz gespannt auf das Jahr 2024 und die elektronische Patientenakte in Deutschland. Da ist natürlich der Spinatkonsum nicht aufgeführt, aber viele andere interessante Dinge. Es wäre für mich sehr wertvoll, diese Daten zu analysieren, um auch Erkenntnisse über deutsche Patientinnen und Patienten zu sammeln. Denn meistens arbeiten wir derzeit noch hauptsächlich mit englischen und amerikanischen Daten. Da könnte sich Deutschland nun gut positionieren. 

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Ihr hattet beispielsweise schon herausgefunden, dass Aspirin sich auf die Lebergesundheit von Männern positiv auswirkt, habe ich das richtig gelesen? 
Ja, es ist so eine Art Steckenpferd von mir, dass ich mir auch das Thema Frauengesundheit besonders angucke, Frauen wurden in der Medikamentenentwicklung lange außen vor gelassen. Wir teilen die Analysen immer nochmal auf und überprüfen, ob es Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt. Und so konnten wir zeigen, dass bei Männern Aspirin vor Lebererkrankungen schützen kann und dass wir bei Frauen diesen Effekt nicht oder nur in schwächerer Form sehen.  

Das ist jetzt aber kein Tipp für Männer, jeden Tag eine Aspirin zu schlucken? 
Nein, nur wenn man sowieso schon Aspirin nimmt, dann kann es sich positiv auf die Lebergesundheit auswirken. Denn es gibt natürlich auch Nebenwirkungen. Aber das ist ja das Ziel unserer Forschung: Unsere Vision ist, dass man dem Patienten oder der Patientin ein auf die Person zugeschnittenes Medikament oder eine Lifestyle-Intervention an die Hand geben kann.  

Wenn die Patientinnen oder Patienten jetzt zu uns in die Praxis mit einer Fettleber kommen, dann sagen wir: abnehmen, mehr Sport, gesündere Ernährung. Wenn man aber sagen könnte: Aufgrund Ihrer genetischen Zusammensetzung und des Lebensstils wäre für Sie die erste Maßnahme, jeden Tag mindestens 7.500 Schritte zu machen. Oder: Bei Ihrer Konstitution sollte man die Kohlenhydrate etwas runterfahren. Oder: Bei Ihnen ist Intervallfasten der erste Schritt. Das wäre viel besser Umzusetzen für Patientinnen und Patienten als allgemeine Anweisungen, die schnell überfordern. 

Hast du vielleicht abschließend noch einen Geheimtipp für eine gesunde Leber?  
Bisher die allgemeinen Empfehlungen: mehr Bewegung und eine mediterrane Ernährung. Eine unserer Studien hat aber ergeben, dass 7.500 Schritte am Tag tatsächlich etwas sind, das man den Leuten gut an die Hand geben kann. Wir haben damals Daten von 100.000 Menschen, die eine Fitnesswatch getragen haben, analysiert und vier Jahre später geschaut, wer eine Lebererkrankung entwickelt hat und wer nicht. Mehr als7.500 Schritte pro Tag waren dabei mit einem stark erniedrigten Risiko einer Fettleber verknüpft. Das ist doch ein guter konkreter Anfang in Richtung einer langfristig gesunden Leber. 

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