Wissenschaftsfreiheit
Forschungsfreiheit und Forschungssemester: Was bedeutet das?

Forschungsfreiheit: Eine Gruppe von Wissenschaftler:innen bespricht sich

Wie sind die Forschungsfreiheit und das Forschungssemester rechtlich geregelt? © sanjeri / iStock

Die Forschungsfreiheit ist ein Grundrecht. Über die Situation von Forschenden weltweit, Grenzen der Freiheit und Voraussetzungen für Forschungssemester.

Veröffentlicht: 13.12.2022

Von: Anke Wilde, Maresa Wolbert

„Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“ So lautet Artikel 5 III des Grundgesetzes (GG). Doch was genau steckt hinter diesen Freiheiten? Wo liegen die Grenzen? Und was bedeutet der Artikel für die Wissenschaft? Ein Überblick.

Nach herrschender Meinung haben die in Art. 5 III GG genannten Begriffe „Forschung und Lehre“ keine eigenständige Bedeutung neben der Wissenschaft. Der Begriff der Wissenschaft wird vielmehr als Oberbegriff für Forschung und Lehre verwendet. 

Das Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit – und damit auch die Freiheit der Forschung und Lehre – regelt, dass die öffentliche Gewalt verpflichtet ist, die freie Wissenschaft zu fördern und auszugestalten. Die Wissenschaftsfreiheit soll außerdem die Bereitstellung ausreichender personeller, finanzieller und organisatorischer Mittel garantieren.

Diese akademische Freiheit wird jedoch nicht schrankenlos gewährleistet, sondern kann durch verfassungsimmanente Schranken eingegrenzt werden, wozu insbesondere Grundrechte Dritter und andere Verfassungsrechtsgüter zählen.

Die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre sind elementare Bestandteile des Grundgesetzes. Doch wann ist Forschung Forschung? Wie ist Wissenschaft definiert, wann gilt die Freiheit der Lehre?

  • Gemäß Definition des Bundesverfassungsgerichts ist Wissenschaft jede Tätigkeit, die nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch der Wahrheitsermittlung anzusehen ist.
  • Forschung ist – so hat es das Bundesverfassungsgericht einmal definiert – der nach Inhalt und Form ernsthafte und planmäßige Versuch zur Ermittlung der Wahrheit, und zwar in einem methodisch geordneten Verfahren mit einem Kenntnisstand, der in der Regel auf einem wissenschaftlichen Studium beruht. Geschützt werden auch vorbereitende und unterstützende Tätigkeiten, die Organisation der Forschung sowie die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen.
  • Laut Bundesverfassungsgericht ist Lehredie wissenschaftlich fundierte Übermittlung der durch die Forschung gewonnenen Erkenntnisse. Hiervon erfasst wird die Weitergabe eigener und fremder durch die Forschung gewonnener Erkenntnisse. Hochschullehrer:innen wird das Recht eingeräumt, den Ablauf sowie die methodische Ausgestaltung der Lehrveranstaltungen festzulegen. Die wissenschaftliche Tätigkeit ist aber nicht auf die Hochschulen beschränkt. Außeruniversitäre und private Wissenschaft fallen ebenso in den Schutzbereich des Grundrechts.


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Alle 27 EU-Mitgliedstaaten und die EU-Forschungskommissarin Mariya Gabriel haben im März 2021 die „Bonner Erklärung zur Forschungsfreiheit“ unterzeichnet. Damit bekräftigen sie ihr gemeinsames Verständnis zur Forschungsfreiheit und sprechen sich für eine vielfältige, kreative und unabhängige Forschungslandschaft aus. 

Die Mitgliedsstaaten verpflichten sich, den kritischen Diskurs zu schützen und Verletzungen der Forschungsfreiheit zu ächten. Forschende sollen durch staatliche Institutionen geschützt und vor staatlichen Eingriffen in die Forschungsfreiheit bewahrt werden. Dabei sollen sie Forschungsfragen frei definieren, Methoden frei wählen und Publikationsformen bestimmen können. 

Auf nationaler Ebene soll der zwischen Bund und Ländern geschlossene Pakt für Forschung und Innovation die großen außeruniversitären Forschungsorganisationen und die Deutsche Forschungsgemeinschaft stärken.

Welcher Relevanz der Bonner Erklärung und dem Pakt für Forschung und Innovation zukommen, zeigt das ernüchternde Ergebnis des Akademische Freiheitsindex (AFI):DieFreiheit für Wissenschaftler:innen nimmt demzufolge weltweit ab. 

Der AFI wird von der Universität Erlangen-Nürnberg und der Universität Göteborg ausgegeben. Er zeigt den Grad der Forschungsfreiheit sowie des wissenschaftlichen Austausches von 177 Ländern im Zeitraum von 1900 bis 2021. 

Demnach ist die Wissenschaftsfreiheit im Vergleich zu 2011 substanziell in neunzehn Ländern und Territorien rückläufig. Rund 37 Prozent der Weltbevölkerung – und damit beinahe zwei von fünf Menschen weltweit – lebt in Gebieten, in denen die Wissenschaftsfreiheit sinkt. Dabei sieht es hierzulande noch vergleichsweise gut aus: Deutschland belegt mit der höchsten Freiheit für Forschende den ersten Platz. Dahinter folgen Italien und Lettland. Am wenigsten Forschungsfreiheit erfahren die Wissenschaftler:innen in Nordkorea. Turkmenistan und Eritrea gehören ebenfalls zu den Schlusslichtern.

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Nicht nur die Forschungsfreiheit ist in vielen Staaten akut gefährdet. Auch die Achtung der akademischen Freiheit ist weltweit gesunken. Das geht aus dem Bericht „Free to Think 2022“ des internationalen Netzwerks „Scholars at Risk“ (SAR) hervor. Demnach gab es zwischen September 2021 und August 2022 insgesamt 391 Angriffe auf Hochschulgemeinschaften in 65 Ländern und Territorien. Betroffen waren demokratische und nicht-demokratischen Gesellschaften. Als Gründe werden unter anderem Konflikte und politische Krisen wie der Krieg in der Ukraine genannt. 

Die Forschungsfreiheit ermöglicht es Professor:innen, ihre Aufgaben in Forschung und Lehre selbstständig und nicht weisungsgebunden wahrzunehmen. Sie können unter anderem frei wählen, welche Themen sie mithilfe welcher theoretischen und methodischen Ansätze erforschen. Diese Freiheit erstreckt sich zudem auf die Vermittlung des Erforschten im Rahmen der Lehre. Damit verbunden ist auch die Verpflichtung, die Ergebnisse dieser Forschung zu veröffentlichen und damit der Allgemeinheit zugänglich zu machen. 

An ihre Grenzen stößt die Forschungsfreiheit, wenn es um ethische Belange geht. Versuche an Tieren oder Menschen sind nur unter strengen gesetzlichen Vorgaben möglich und müssen für jeden einzelnen Fall genehmigt werden. Außerdem sollten sich Wissenschaftler generell bewusst sein, dass ihre Forschung auch missbraucht werden kann. Die Max-Planck-Gesellschaft hat 2017 die „Hinweise und Regeln zum verantwortlichen Umgang mit Forschungsfreiheit und Forschungsrisiken“ aktualisiert, die Forschenden Orientierung bei ethischen und moralischen Fragen geben sollen.

Noch aus den frühen Jahren der Bundesrepublik stammt die Regel, dass Professor:innen zur Fertigstellung einer größeren wissenschaftlichen Arbeit oder auch zur Ausführung eines Forschungsprojekts intervallmäßig ein Forschungssemester nehmen können. Für viele Hochschullehrkräfte sind diese Forschungsfreisemester – im Englischen auch unter dem Begriff Sabbatical bekannt – ein regelrechter Lichtblick, denn angesichts zunehmender Organisations- und Verwaltungsverpflichtungen bleibt oft nur wenig Zeit für die Forschung.

Je nach Landeshochschulgesetz dürfen Professor:innen nach einer gewissen Semesteranzahl durchgängiger Lehre ein Forschungssemester nehmen. In Ausnahmefällen, wenn das Forschungsvorhaben es nicht anders zulässt, sind bis zu zwei Forschungssemester möglich. Für diese Zeit werden sie von der Lehre und von bestimmten Verwaltungsaufgaben freigestellt.

In welchen Abständen Professor:innen ein Forschungssemester beantragen können und wie lange eine Freistellung für Forschung möglich ist, ist in den jeweiligen Hochschulgesetzen der Bundesländer unterschiedlich geregelt. Drei Beispiele:  

  • Hessen: In Hessen regelt § 75 Abs. 4 HessHG, dass Professor:innen, die mindestens sieben Semester in der Lehre tätig gewesen sind, unter bestimmten Voraussetzungen ein Semester von ihren Tätigkeiten befreit werden können.
  • Bayern: Gemäß § 11 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 S.2 BayHSchPG können sich Professor:innen in Bayern ebenfalls für ein Semester unter bestimmten Voraussetzungen befreien lassen. 
  • Nordrhein-Westfalen: Wer in Nordrhein-Westfalen als Professor:in tätig ist, kann gemäß § 40 Abs. 1 HG freigestellt werden. Anders als in den meisten Bundesländern ist in NRW keine zeitliche Beschränkung für Forschungssemester genannt.

Einen entsprechenden Antrag müssen Professor:innen frühzeitig bei der jeweiligen Fakultät oder der Hochschulleitung stellen. Auch die darunter gelegene Entscheidungsebene, also der Fachbereich und/oder die Fakultät, muss der Freistellung zustimmen. Nach dem Forschungssemester heißt es für Professor:innen wieder: Rückkehr in den universitären Alltag – mitsamt aller Rechte, Pflichten und Anforderungen.

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