Selbstmarketing Wissenschaft
Wissenschaftler im Netz - Erfolgreiches Selbstmarketing in der Wissenschaft

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Wie wichtig ist Selbstmarketing in der Wissenschaft? © illmedia / photocase.de

Immer mehr Wissenschaftler entdecken soziale Netzwerke und Blogs für sich. Vor allem junge Forscher nutzen die neuen Formen der Wissenschaftskommunikation zum Selbstmarketing - auch über die Grenzen der Wissenschaft hinaus.

Veröffentlicht: 01.07.2014

Von: Birk Grüling

Reinhard Remfort spricht gerne über seine Forschung. Der Experimentalphysiker produziert den Podcast "Methodisch Inkorrekt", tritt bei Science Slams auf und hält Physik-Vorlesungen für Kinder. "Ich habe bei der Kinder-Uni den Spaß am Erklären und an Auftritten vor Publikum entdeckt", erzählt er. Inzwischen ist daraus ein zeitaufwendiges Hobby geworden.

Mehrmals im Jahr reist der Doktorand des NanoEnergieTechnikZentrums (NETZ) der Universität Duisburg-Essen für Science Slams durch die Republik. Alle zwei Wochen erscheint sein Podcast. Zusammen mit einem Freund und Kollegen spricht er dabei über aktuelle Themen aus der Wissenschaft - meist locker, flapsig und nicht immer ganz ernst. Auch der eigene Berufsalltag wird nicht ausgespart.

"Viele Menschen halten Forschung und Wissenschaft für unglaublich kompliziert. Da ist es für uns Wissenschaftler quasi eine Pflicht, genau das verständlich zu machen. Immerhin wird Forschung durch Steuergelder unterstützt", sagt Remfort. Inzwischen hören ca. 2.000 Menschen regelmäßig seiner humorvollen Aufklärungsarbeit zu - ein guter Wert für ein Hobbyprojekt.

So begeistert und engagiert wie Reinhard Remfort nutzt längst nicht jeder Wissenschaftler die sozialen Netzwerke und neuen Kommunikationswege zum Selbstmarketing. Laut einer Schätzung des Bayerischen Rundfunks bloggen und podcasten nur etwa fünf Prozent der deutschen Forscher. Gleichzeitig nimmt das Bedürfnis nach kommunizierter Wissenschaft zu. "Gerade die Naturwissenschaften rücken durch Themen wie den Klimawandel immer stärker in den Fokus der Öffentlichkeit", sagt Beatrice Dernbach von der Technischen Hochschule Nürnberg. Die Medienwissenschaftlerin forscht unter anderem zu der Medienpräsenz von Wissenschaftlern.

Doch beim Selbstmarketing geht es nicht nur um Medienpräsenz und Aufmerksamkeit. Wissenschaftskommunikation ist auch bei der Vergabe von Fördergeldern wichtiger geworden. Forscher müssen sich heute schon beim Förderantrag Gedanken darüber machen, wie sie ihre Studien-Ergebnisse einer breiten Öffentlichkeit präsentieren könnten. "Bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gibt es inzwischen extra Fördermittel für den Bereich Kommunikation", sagt Beatrice Lugger vom Nationalen Institut für Wissenschaftskommunikation. Für sie ein logischer Schritt: Die Forschungsprojekte werden so finanziell unterstützt und haben bessere Chancen in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden.

Auch Lydia Möcklinghoff, Promovendin am Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig in Bonn, braucht für ihre Forschung finanzielle Unterstützung und Öffentlichkeit. Für ihre letzte Ameisenbären-Expedition stellte die junge Biologin allerdings keinen Drittmittelantrag, sondern suchte finanzielle Unterstützung über die Crowdfunding-Plattform Sciencestarter. Auf einem Science Slam, bei dem sie über ihre Forschung an den etwas einfältigen Nebengelenktieren sprach, erfuhr sie von dieser Möglichkeit der Wissenschaftsfinanzierung im Netz. "Ich habe noch Geld für meine Feldforschung gebraucht und mich einfach beworben", erzählt sie.

Als eines der ersten Projekte der noch jungen Seite überzeugte sie genügend Unterstützer, die bereit waren etwas Geld für ihre Forschung zu geben. Vorherige Forschungsreisen hatte sie meistens über offizielle Stipendien finanziert. "In der Ökologie ist es schwierig, Drittmittel zu bekommen. Entsprechend spannend fand ich die Crowdfunding-Möglichkeit", sagt Möcklinghoff. Allerdings war der zeitliche Aufwand für die Unterstützer-Werbung am Ende größer als gedacht. Auf Science Slams verteilte sie Flyer, sprach mit Journalisten und warb in sozialen Netzwerken für ihre Forschung. Der Lohn für die ganze Mühe: Die Arbeit der jungen Biologin wird nun stärker wahrgenommen. "Meine Forschung hat einen starken Naturschutzaspekt. Deshalb möchte ich, dass möglichst viele Menschen wissen, woran ich arbeite", sagt sie. Zu den Unterstützern hält sie deshalb bis heute Kontakt, bloggt von ihren Expeditionen und berichtet über neue Erkenntnisse.


Doch moderne Möglichkeiten wie Social Media Kanäle als Plattform für Selbstmarketing und die eigene Forschung zu nutzen, fällt längst nicht allen Forschern leicht. Eine große Herausforderung: Man muss lernen über seine Forschung zu sprechen und zwar mit jeder Zielgruppe. Der Grad zwischen wissenschaftlicher Korrektheit, Verständlichkeit und der völligen Überladung mit Fakten ist dabei oft schmal. So ist es ein meilenweiter Unterschied, ob man bei einem Science Slam auftritt, einen Fachvortrag auf einer Konferenz hält oder für ein Naturschutzprojekt wirbt. Ein Beispiel: Anders als in einem Artikel für ein Wissenschaftsjournal ist in sozialen Netzwerken die eigene Persönlichkeit gefragt. Positiv formuliert: Wissenschaftler haben die Chance, sich ein Profil über einen reinen Expertenstatus hinaus zu erarbeiten. Genau diese Erfahrung hat auch Reinhard Remfort gemacht. Sein Podcast, die Science Slam Auftritte und Kindervorlesungen haben ihm Türen geöffnet. Der Physiker bekommt Einladungen zu Vorträgen an anderen Hochschulen und gibt Interviews im Fernsehen.

Eine Pflicht zur Kommunikation besteht trotz vieler Vorteile natürlich nicht. Jeder Forscher hat auch heute noch das Recht, sich zurückzuhalten und nur zu forschen. "Junge Forscher sollten sich aber wenigstens grundlegend mit Wissenschaftskommunikation und Selbstmarketing beschäftigen. Mit dem nötigen Wissen kann jeder für sich selbst entscheiden, ob er diese Möglichkeiten nutzen will oder nicht", sagt Dernbach. Doch genau dafür fehlen die passenden Angebote an den Hochschulen. Gleichzeitig ist auch das Interesse der Wissenschaftler noch begrenzt - mal aus Zeitmangel, mal aus Bequemlichkeit. "Vielen Wissenschaftlern fehlt tatsächlich die Medienkompetenz", bestätigt auch Lugger. Ihre Forderung: Wissenschaftler müssen die Medien und ihre Gesetze kennenlernen und Wissenschaftskommunikatoren die Forscher genau dabei aktiv unterstützen. "In den USA gehört Kommunikationskompetenz längst zum Lehrplan in den Naturwissenschaften. In Deutschland stecken solche Angebote in den Kinderschuhen", sagt sie.

Gleichzeitig wird das Web 2.0 für Arbeit von Wissenschaftlern und den Austausch untereinander immer relevanter. Beispiele: Mit "Mendeley" und "ResearchGate" profilieren sich gerade zwei soziale Netzwerke speziell für Wissenschaftler am Markt. Das Startup "Impact Story" will dagegen den etablierten Impact-Factor ergänzen. Er gibt Auskunft darüber, wie oft die Artikel eines Journals in anderen Publikationen zitiert werden. Bei Impact Story werden als Ergänzung auch Erwähnungen in Blogs, sozialen Netzwerken oder populärwissenschaftlichen Magazinen bewertet. Dabei ist es durchaus denkbar, dass Fachartikel, über die viel im Netz gesprochen wurde, auch in der Wissenschaft mehr Gehör finden. Eine etwas radikalere Veränderung im Wissenschaftsbetrieb fordert die Open Review Bewegung: Im Moment werden die Studien-Paper für Fachzeitschriften von anonymen Gutachtern geprüft. Seit Jahren mehren sich Stimmen, die eine offene Beurteilung im Netz fordern, um für mehr Transparenz zu sorgen.

Bei allen Möglichkeiten und Vorteilen gibt es auch Schattenseiten der Netz- und Medien-Präsenz von Wissenschaftlern. Ein Beispiel: Nicht jeder ist bereit, sich dem zeitweise rauen Umgangston im Netz auszusetzen. Nicht selten bestehen Kommentare unter Blogbeiträgen und Artikeln aus abstrusen Argumenten und direkten Beleidigungen. Wahlweise wird der Klimawandel geleugnet, windige Medikamente angepriesen oder die Rückseite des Mondes in Händen von Außerirdischen geglaubt. Der Umgang mit oft renitenten Spinnern will gelernt sein. Auch die Kollegen stehen einer offenen Kommunikation nicht immer wohlwollend gegenüber. Medialpräsenten Wissenschaftlern wird noch oft genug unterstellt, zu wenig zu forschen. Die Lösung: Ein gesundes Mittelmaß. "Man muss aufpassen, dass man nicht zu viel Zeit mit Science Slams und Podcasts verbringt. Die Wissenschaft ist schließlich der Hauptjob", berichtet auch Remfort. Von seinen Kollegen hört er wenig Kritik. Die Pressestelle seiner Hochschule ist dagegen sehr begeistert über sein Kommunikationsbedürfnis.

Im Forscheralltag hilft die Öffentlichkeitsarbeit nur begrenzt. In seiner Doktorarbeit beschäftigt er sich mit künstlichen Diamanten, mit denen man Magnetfelder im Nano-Bereich messen kann. "Bei der Arbeit im Labor oder dem Schreiben von Artikeln für Fachjournale hilft das nicht. Vielleicht habe ich gelernt, bessere Vorträge zu halten", sagt er. Noch im Studium drückte Remfort sich am liebsten um Präsentationen herum und vor Vorträgen war die Aufregung groß. Inzwischen könnte er sich aber auch eine Karriere außerhalb der Forschung vorstellen. Schließlich seien die Arbeitsbedingungen an den Hochschulen nicht die Besten. "Im Moment ist alles in Ordnung. Aber wenn ich sehe, wie sehr sich manche Postdocs aufreiben, kommen mir schon Zweifel", sagt er. Wissenschaftskommunikation wäre vielleicht eine gute Alternative.

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  1. Einfach probieren: Bloggen und Twittern kann man sich lange erklären lassen. Ohne einen Selbstversuch geht es aber nicht. Gleiches gilt übrigens auch für Science Slams: Dort sind neue Teilnehmer immer willkommen.
  2. Begeisterung zeigen: Spaß an der Sache und viel Leidenschaft am Forschen sind wichtige Erfolgsfaktoren für Wissenschaftskommunikation. Rein karriereorientierte Kommunikation kann dagegen schnell aufgesetzt wirken.
  3. Humor ist erlaubt: Rappende Mathematiker, humorvolle Physikbeiträge oder Mediziner, die leidenschaftlich über den Darm sprechen, machen es vor. Etwas Abstand und Ironie gegenüber der eigenen Forschung helfen ungemein. Die wissenschaftliche Korrektheit muss dabei nicht leiden.
  4. Expertise zählt: Erfahrene Wissenschaftler können bei Medienauftritten im Zweifel ihre gesamte Expertise ausspielen, die sie im Laufe ihrer Laufbahn gesammelt haben. Bei jungen Wissenschaftlern ist das etwas schwieriger. Oder um es frei nach Bambies Klopfer zu sagen: "Wer nichts Sinnvolles zu dem Thema zu sagen hat, sollte lieber den Mund halten."
  5. Man sollte überlegen, mit wem man spricht und was man sagt: Wer sich als junger Mediziner offen zur Esoterik-Szene bekennt, kann das gerne tun. Aber das kann schnell auch das Ende der wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit bedeuten.


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