Neurowissenschaft und Raumfahrt
22 Sekunden für die Zukunft

Haben den Zuschlag für ein ESA-Projekt erhalten: Constance Badalì (l.) und Carmen Possnig © Phil Dera für DIE ZEIT
Mit ihrem innovativen, interdisziplinären Projekt „NeurO2flight“ haben die Wissenschaftlerinnen Constance Badalì und Carmen Possnig den Zuschlag für ein Parabelflug-Experiment im Rahmen der ESA Academy erhalten. Im Interview erklären Sie, inwiefern ihre Forschung die künftige Raumfahrt beeinflussen könnte, welche Herausforderungen und Chancen interdisziplinäre Teams bieten und wie es gelingt, erfolgreiche Projektanträge zu stellen.
Aktualisiert: 28.05.2024
Constance Badalì, Doktorandin im Bereich Neuromechanik und Alumni des Zia-Programms, und Carmen Possnig, Ärztin und „Reserve Astronautin“ sowie Zia-Fellow, haben zusammen mit ihrem Forschungsteam das Projekt NeurO2flight ins Leben gerufen. Ziel dieses Projekts ist, die Auswirkung von Hypoxie (niedrigem Sauerstoffgehalt) und Mikrogravitation (Schwerelosigkeit) auf das menschliche Gehirn zu untersuchen. Somit soll durch das Projekt festgestellt werden, inwiefern die Crewmitglieder unter den genannten Bedingungen bei Weltraumflügen ihre optimale kognitive Leistungsfähigkeit beibehalten können.
Durch die enorme Zukunftsrelevanz des Themas, besonders in Bezug auf zukünftige Raumfahrzeuge und Weltraumhabitate, ist das NeurO2flight Projekt eines von sieben, welches im Rahmen des ESA Academy Experiments Programme unterstützt wird. Die Förderung ermöglicht die Durchführung einer Parabelflugkampagne im November 2024.
Die Parabelflugkampagne im November 2024
Liebe Constance und liebe Carmen, herzlichen Glückwunsch zu eurem Projektzuschlag von der ESA Academy! Im November 2024 startet euer Experiment im Rahmen einer Parabelflugkampagne. Bitte erklärt kurz: Was genau ist ein Parabelflug, und was untersucht ihr da?
Constance Badalì: Ein Parabelflug ist ein speziell und mit Hilfe von drei Piloten durchgeführtes Flugmanöver, welches eine nach unten geöffnete Parabel beschreibt. Während des An- und Abstiegs der Parabel erreicht das Flugzeug die doppelte Gravitation, also 1,8 G, um an der Spitze 22 Sekunden reiner Schwerelosigkeit zu ermöglichen.
Carmen Possnig: Während eines Flugs fliegt der Pilot 31 Parabeln. Das heißt, wir haben 31 Mal 22 Sekunden, um Daten für unsere Studie zu sammeln. Das ist natürlich ein bisschen stressig. Darum trifft sich unser Team im Sommer in Innsbruck, um die Studie am Boden durchzugehen – damit dann im Flug jeder Handgriff sitzt.
Gibt es Risiken, die mit der Teilnahme an der Parabelflugkampagne verbunden sind?
Badalì: Nein, große Risiken sind mit einer Teilnahme an einer Parabelflugkampagne nicht zu erwarten… höchstens die sich entwickelnde Sucht nach Schwerelosigkeit!
Possnig: Die raschen Übergänge von doppelter Schwerkraft zu Schwerelosigkeit können für das Gleichgewichtssystem ziemlich verwirrend sein. Man bekommt daher vorher ein Medikament gespritzt, das gegen Übelkeit und Schlimmeres helfen soll. Apropos Sucht: Constance hat in früheren Projekten bereits 500 Parabeln zurückgelegt! Das sind drei Stunden Schwerelosigkeit.
Was ist die größte Errungenschaft, die euer Experiment für die zukünftige Raumfahrt bereitstellt?
Possnig: Wir untersuchen die Auswirkungen von der Kombination Schwerelosgkeit und Sauerstoffmangel auf das Gehirn. Interessanterweise hat das bisher niemand gemacht. Allerdings gibt es Pläne, zukünftige Raumschiffe und Habitate auf dem Mond oder Mars mit niedrigem Druck und auch niedrigerem Sauerstoff zu betreiben. Das hätte viele Vorteile, es wäre einfacher zu bauen und stabiler, man könnte das Schiff schneller verlassen, man müsste weniger Sauerstoff transportieren. Aber hat das Auswirkungen auf die kognitiven Fähigkeiten der Astronauten? Das müssen wir wissen, bevor wir beginnen, solche Raumschiffe zu bauen.
Arbeiten in einem interdisziplinären Team: Chancen und Herausforderungen
Ihr verbindet Neurowissenschaften mit Raumfahrt. Ist die Zusammenarbeit in einem interdisziplinären Team anders als in einem monodisziplinären? Welche Herausforderungen und Chancen seht ihr?
Badalì: Natürlich stellt uns die Arbeit in einem interdisziplinären Team immer wieder vor Herausforderungen, bietet aber deutlich mehr Chancen. So können wir unsere Forschungsfragen oft aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten und dadurch oft ein viel umfassenderes Bild kreieren. Zudem lernen wir unterschiedliche wissenschaftliche Methoden und Techniken zu kombinieren, um komplexe Fragestellungen zu untersuchen und können unsere verschiedenen Disziplinen mit ihren Ressourcen und Technologien nutzen, um effizienter zu arbeiten.
Possnig: Unser Team besteht ja insgesamt aus fünf Studenten und jeder hat eine andere Spezialisierung. Es ist wahnsinnig spannend zu sehen, an was die anderen arbeiten und wie sie an Probleme herangehen. Es ist aber für den Erfolg des Experiments auch essenziell, dass wir einander verstehen. Wie erkläre ich den Ingenieuren, was das Gehirn in Schwerelosigkeit macht? Somit verbessern wir laufend auch unsere Wissenschaftskommunikationsskills.
Welche Fähigkeit schätzt ihr an der jeweils anderen am meisten – und warum?
Badalì: So paradox es vielleicht klingen mag, da Carmen diejenige von uns beiden ist, welche in den Weltraum fliegen wird… Aber: Sie schafft es immer wieder, mich mit ihrer ruhigen und strukturierten Art zu erden! Dafür bin ich ihr sehr dankbar.
Possnig: Mit Constance verpasst man keine Deadlines! Ich bin da eher der Last-Minute-Typ (was umgekehrt sicher nicht einfach für sie ist!), aber sie ist wahnsinnig organisiert und es ist super zu sehen, wie angenehm es ist, von Anfang an gut vorbereitet zu sein. Noch dazu hat sie eine so breite Wissensbasis, dass sie einen beeindruckenden Überblick über das gesamte Projekt hat. Sie hält die Fäden in der Hand und es ist ganz klar: Ohne Constance wird das nichts mit der Schwerelosigkeit.
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Erfolgreiche Antragstellung: Tipps
Euer Projekt ist hochrelevant für die Zukunft der Menschheit. Eine exzellente Forschungsidee zu haben reicht aber meist nicht, um eine Förderung zu bekommen. Habt ihr Tipps, wie man bei einer Antragstellung vorgehen sollte?
Possnig: Unser Projekt wäre ohne Kollaboration von Physiologen, Neurowissenschaftlern und unseren beiden Ingenieuren nicht möglich gewesen. Jeder von uns bringt essenzielles Wissen und Skills mit. Wir dachten anfangs, wir kriegen das alleine hin, aber haben schnell gemerkt: Das geht nicht. Es ist wichtig, zu wissen, wann man Unterstützung braucht, und diese auch einzuholen. Nicht nur aus fachlichen Gründen, sondern weil es das eigene Denken anregt, diese anderen Perspektiven zu erleben. Zudem bietet das ESA Academy Experiment Programme für Studenten die Möglichkeit, eigene Projektideen im Rahmen verschiedener Plattformen durchzuführen und unterstützt uns auch mit Lernangeboten, zum Beispiel Workshops, über das gesamte Projekt hinaus.
Wie lange vor Ende der Eingabefrist sollte man mit der Arbeit an dem Antrag beginnen?
Badalì: Das ist pauschal sehr schwierig zu sagen. In unserem Fall haben wir die ersten Ideen im Juli 2023 auf einer gemeinsam besuchten Raumfahrtkonferenz gehabt. Richtig angefangen zu schreiben und unser Team zusammenzustellen haben wir dann ab September.
Possnig: Das Go von ESA Academy Experiments programme haben wir dann im Februar 2024 bekommen, und der tatsächliche Flug findet im November statt.
Carmen Possnig
Ausblick: Die Zukunft der Raumfahrt
Abschließend ein Blick in die Zukunft: Werden irgendwann wirklich Menschen wie in Science-Fiction-Romanen auf anderen Planeten leben? Falls ja: Wann?
Possnig: Ich glaube ja. Durch die Erforschung des Weltalls haben wir die Möglichkeit, Wissenschaft, Abenteuer und Entdeckergeist miteinander zu verschmelzen. Sie verbindet uns über Grenzen hinweg und ist eine Quelle der Inspiration über Generationen.
Als erster Schritt ist der Mars eine sehr interessante Destination. In etwa 20 Jahren wird eine astronautische Marsmission möglich sein. Eine permanente Forschungstation kann ich mir dort gut vorstellen, auch weil der Mars vor ein paar Millionen Jahren sehr erdähnlich war und wir dementsprechend Spuren von Leben finden könnten! Irgendwann entstehen vielleicht auch größere Siedlungen.
Der Mars ist aber auf keinen Fall ein Planet B, selbst im dramatischsten Klimawandelszenario ist die Erde immer noch ein lebenswerterer Ort für uns als der Mars heute. Aber vielleicht haben wir irgendwann die Kapazitäten, aus unserem Sonnensystem hinauszufliegen – und wer weiß, was wir da draußen alles entdecken können.
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