Promotionsrecht an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften
Das Bundesverfassungsgericht hat 2010 grundlegend anerkannt, dass Fachhochschulen ebenso wie Universitäten Orte der Wissenschaft sind. Denn weder findet an Universitäten ausschließlich Grundlagenforschung statt, noch wird an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften ausschließlich anwendungsbezogen geforscht. Vielmehr nimmt der Bereich der Forschung an den HAWs im Vergleich zur Lehre einen immer größeren Stellenwert ein.
Dennoch haben die meisten Hochschulen für Angewandte Wissenschaften auch im Jahr 2021 noch kein Promotionsrecht, da dieses von den Bundesländern in den Hochschulgesetzen erst verankert werden muss. Erst sechs Länder haben bislang entsprechende Regelungen in ihre Gesetze eingefügt, nach denen die Ministerien den Hochschulen für Angewandte Wissenschaften das Promotionsrecht verleihen können. Den Anfang machte Baden-Württemberg im Jahr 2014, allerdings haben die Ministerien diese Regelung bis Anfang 2021 noch nicht umgesetzt.
Hessen war 2016 das erste Bundesland, in dem die Gesetzesänderungen tatsächlich Anwendung fanden. In sieben Promotionskollegs von hessischen HAWs kann inzwischen der Doktortitel erworben werden. In vielen anderen Bundesländern gibt es zumindest ähnliche Bestrebungen. In Nordrhein-Westfalen könnte die Umsetzung der 2019 eingeführten gesetzlichen Regelung zum eigenen Promotionsrecht für Hochschulen für Angewandte Wissenschaften sogar noch 2021 erfolgen.
Mit HAW-Abschluss promovieren?
Seit der Umsetzung des Bologna-Prozesses berechtigt der Masterabschluss an einer HAW zur Promotion; die Art der Hochschule spielt dabei keine Rolle mehr. Mit den an HAWs erworbenen Bachelor- oder Diplomabschlüssen müssen Promovenden allerdings zusätzliche Voraussetzungen erfüllen. Oft sind dies eine sehr gute Abschlussnote und das erfolgreiche Durchlaufen eines sogenannten Eignungsfeststellungsverfahren.
Da jede Promotionsordnung ihre eigenen Eingangsvoraussetzungen aufstellt, kann es jedoch sein, dass Master-Absolventen von Hochschulen für Angewandte Wissenschaften die fachlichen Vorgaben nicht erfüllen können. So haben beispielsweise Wirtschaftsjuristen mitunter Probleme, an juristischen Fakultäten zu promovieren. Denn die Universitäten setzen für die Promotionszulassung unter anderem Kenntnisse in Strafrecht voraus. Dieser Teilbereich wird in der Ausbildung zum Wirtschaftsjuristen an HAWs jedoch in der Regel nicht gelehrt. Sie verfügen zwar über andere Kompetenzen, die aber in der auf klassisch ausgebildete Juristen zugeschnittenen Promotionsordnung nicht relevant sind.
An HAWs promovieren: Kooperative Promotion
Immerhin: Auch wer an einer nicht promotionsberechtigten Hochschulen für Angewandte Wissenschaften studiert, kann heute promovieren – oft in Form einer kooperativen Promotion. Bei diesem Modell schließen sich Fachhochschulen mit Universitäten zusammen, um ihren Absolventen den Weg zum Doktortitel zu ermöglichen. So arbeitet die Hochschule Augsburg beispielsweise gleich mit elf Universitäten im In- und Ausland zusammen.
Die wissenschaftliche Arbeit erfolgt in der Regel an der HAW. Dabei schaffen die Universitäten die Möglichkeit, dass Professoren der HAW als Betreuer, Gutachter und Prüfer im Promotionsverfahren gleichberechtigt mitwirken. Die Betreuung des Doktoranden sowie die Erst- und Zweitbegutachtung werden individuell koordiniert.
Doch auch unabhängig von solchen institutionellen Kooperationsabkommen können Master-Absolventen an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften ihren Doktor machen. In der Praxis hängt diese Möglichkeit laut hlb jedoch in erster Linie davon ab, ob Lehrende an den HAWs gut vernetzt sind. Haben sie gute Kontakte zu Professoren von promotionsberechtigten Hochschulen im In- oder Ausland haben, können sie darüber Absolventen eine Promotion ermöglichen.
Nach der bisher letzten Umfrage der Hochschulrektorenkonferenz haben im Zeitraum von 2015 bis 2017 bundesweit 1.575 Absolventen von Hochschulen für Angewandte Wissenschaften/Fachhochschulen promoviert. 385 von ihnen haben ihren Doktortitel im Rahmen eines kooperativen Promotionsverfahrens erlangt.