Berufspraxis – Ein Muss für die HAW-Professur
Die HAW-Professur erfordert andere Karriereschritte als die Universitätsprofessur. Wesentliches Unterscheidungsmerkmal ist die Berufserfahrung. In fast allen Landeshochschulgesetzen wird vorgeschrieben, dass HAW-Professor:innen in ihrem Fachgebiet mindestens eine fünfjährige Berufspraxis in der Entwicklung und Anwendung von wissenschaftlichen Methoden und Erkenntnissen vorweisen müssen. Mindestens drei Jahre davon müssen außerhalb des Hochschulbereichs verbracht werden.
Ausnahmen: In Sachsen-Anhalt ist nur eine dreijährige Berufspraxis außerhalb der Hochschule gefordert; in Brandenburg ist eine dreijährige Berufspraxis, zwei Jahre davon außerhalb der Hochschule, Voraussetzung für eine HAW-Professur.
Im Gegenzug benötigen die HAW-Lehrenden keine „zusätzlichen wissenschaftlichen Leistungen“, die Ihre Kolleg:innen an der Universität im Rahmen von Habilitation, Juniorprofessur oder Nachwuchsgruppenleitung sehr wohl erbringen müssen. Für eine HAW-Professur ohne Berufserfahrung halten die meisten Landeshochschulgesetze aber eine kleine Hintertür offen: In „besonders begründeten Ausnahmefällen” kann auch sie auf Basis der eher akademisch orientierten Kriterien für eine Universitätsprofessur vergeben werden.
Was zählt als Berufserfahrung für die HAW-Professur?
Die geforderte berufliche Praxis sieht von Fach zu Fach unterschiedlich aus. Wer im eigenen Fachgebiet in den Lebensläufen von HAW-Professor:innen stöbert, wird auch hier ein breites Spektrum von Werdegängen finden. Einige haben erst nach mehreren Jahren in der freien Wirtschaft festgestellt, dass sie ihr Wissen an Studierende weitergeben wollen, und sich daraufhin auf eine Professur beworben. Genau diese langjährige Praxiserfahrung macht sie jedoch für HAWs attraktiv – nicht umsonst heißen diese Einrichtungen oft „Hochschule für angewandte Wissenschaften“.
Eine Postdoc-Stelle in der freien Wirtschaft bietet Gelegenheit, diese praktischen Erfahrungen auf hohem Niveau zu sammeln. Allerdings finden Sie diese nur in den wenigsten Fachgebieten außerhalb des Hochschul- und Forschungssektors, und so qualifiziert Sie grundsätzlich jede Stelle, in der Sie Ihre fachliche Expertise voll entfalten können, für die HAW-Professur.
Letztlich gilt: Ihre berufliche Praxis muss einschlägig sein. Das heißt, sie muss in einem erkennbaren Zusammenhang stehen mit dem Fach, das Sie unterrichten wollen. Schließlich dient diese Zeit als Nachweis Ihrer Fähigkeit, anwendungsorientiert zu lehren und zu forschen. Viele Hochschulen erwarten zwar, dass diese Tätigkeit in Vollzeit ausgeführt wurde, die meisten aber geben sich auch mit einer Teilzeittätigkeit zufrieden.
Kontakt zur Wissenschaftswelt halten
Lassen Sie während Ihrer Berufspraxis in der freien Wirtschaft nicht den Draht in die Wissenschaftswelt abreißen. Bleiben Sie Mitglied in den Fachgesellschaften und besuchen Sie, wenn möglich, gelegentlich Tagungen. Vor allem aber sollten Sie auch regelmäßig Lehraufträge an einer Hochschulen für angewandte Wissenschaften annehmen. HAW-Professor:innen müssen doppelt so viele Lehrveranstaltungen halten wie ihre Kollegen an den Universitäten – entsprechend sind belastbare Erfahrungen in der Lehre bei Bewerbungen von großem Vorteil.
Berufspraxis an außeruniversitärer Forschungseinrichtung?
Auch die Tätigkeit an einer außeruniversitären Forschungseinrichtung kann als externe Berufspraxis anerkannt werden. Dies wird an den einzelnen Hochschulen für angewandte Wissenschaften jedoch unterschiedlich gehandhabt. Dabei macht es einen Unterschied, an welchem Institut Sie tätig waren und wie praxisnah die Forschung dort ist. Ein Aufenthalt an einem Fraunhofer-Institut wird meist als die erforderliche Berufspraxis außerhalb der Hochschule gewertet, eine Stelle bei einem Max-Planck-Institut hingegen nicht unbedingt, da die Institute in erster Linie Grundlagenforschung betreiben.
Wer hingegen seine gesamte Forschungslaufbahn ausschließlich an Hochschulen und Universitäten zugebracht hat, hat bei der Bewerbung auf eine HAW-Professur schlechtere Karten. Habilitierte müssen sich in der Bewerberrunde definitiv auf die Frage einstellen, warum sie an einer Hochschulen für angewandte Wissenschaften arbeiten wollen.
Im Einzelfall kann die Habilitation jedoch auch als hinreichende Berufserfahrung anerkannt werden. Allerdings sollten Sie den Praxisbezug Ihrer Habilitation im Bewerbungsanschreiben erläutern. Gerade wenn eine HAW-Professur wiederholt ausgeschrieben wird, weil es bisher keine passenden Bewerber:innen gab, sind die Berufungskommissionen zu Kompromissen bereit.
Zudem besteht mittlerweile in vielen Bundesländern die Option einer Tandem- oder Nachwuchsprofessur; hierbei ist das Lehrdeputat kleiner, sodass die Nachwuchslehrkräfte parallel zur Lehrtätigkeit die nötige Berufserfahrung sammeln oder an ihrer Dissertation schreiben können.
Aufgabenfelder von HAW-Professor:innen
Die Vermittlung von Wissen steht an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften im Vordergrund. Die Lehrverpflichtung umfasst in der Regel 18 Semesterwochenstunden. Zur Vor- und Nachbereitung der Lehrveranstaltungen kommen noch Verwaltungstätigkeiten und die Forschung hinzu. Die Einwerbung von Drittmitteln ist an Hochschulen für angewandte Wissenschaften weniger wichtig als an den Universitäten, rückt aber durch die stärkere Ausrichtung zur Anwendungsforschung zunehmend in den Fokus.
HAW-Professuren werden oft mit sehr spezifischem Anforderungsprofil ausgeschrieben. Dieses wird jedoch nur in den seltensten Fällen erfüllt. Daher ist es wichtig, dass Sie sich im Vorfeld überlegen, mit welchen Erfahrungen Sie dem gesuchten Profil entsprechen, und welche zusätzlichen Erfahrungen, Netzwerke und mögliche Kooperationspartner Sie mitbringen, von denen Studierende und Hochschulen für Angewandte Wissenschaften profitieren können.
Professuren an Hochschulen für angewandte Wissenschaften in Zahlen
HAW-Lehrkräfte stehen weniger im Fokus als ihre Kolleg:innen an den Universitäten, und doch sind sie ihnen zahlenmäßig fast ebenbürtig. Exakt 21.022 Professor:innen lehrten laut Statista 2021 an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften in Deutschland. Die gesetzlichen Vorgaben an die Berufung von Hochschulen für angewandte Wissenschaften sind die gleichen wie an den Universitäten: Die Professur muss öffentlich ausgeschrieben werden, eine Berufungskommission kommt zum Einsatz, die aus den Bewerber:innen den am besten geeigneten Kandidat:innen zum „Vorsingen“ einlädt. Die drei besten Bewerbenden kommen auf die Berufungsliste. Haben die jeweils erforderlichen Gremien dieser zugestimmt, dann erhält der oder die Erstplatzierte den Ruf.
Besonderheiten zur Titelführung von HAW-Professoren und -Professorinnen
Auch HAW-Lehrende haben das Recht, den Titel „Professor“ oder „Professorin“ zu führen. Hier gibt es keinen Unterschied zur Universitätsprofessur. Föderale Unterschiede gibt es jedoch, wenn ein:e Professor:in aus dem Hochschuldienst ausscheidet. Der Titel darf dann weitergeführt werden, wenn der Professor oder die Professorin bereits die Altersgrenze erreicht hat oder dienstunfähig wird. Meist gibt es in den jeweiligen Gesetzen aber einen zusätzlichen Passus, wonach unter bestimmten Bedingungen bereits nach fünf oder sechs Jahren Dienstzeit der Titel behalten werden darf.