Postdoc in der Industrie
Lohnt der Wechsel in die freie Wirtschaft in der Postdoc-Phase?

Ballon Symbolbild Postdoc freie Wirtschaft

Alternativ zur Wissenschaft ist der Postdoc auch in der freien Wirtschaft möglich © chuttersnap / unsplash.com

Ein Ausflug in die freie Wirtschaft kann für Postdocs attraktiv sein. Der Weg lohnt sich für manche junge Wissenschaftler:innen – auch wenn sie langfristig eine akademische Karriere anstreben.

Veröffentlicht: 04.01.2022

Von: Maria Zeitler

Wissenschaftlich gearbeitet und geforscht wird nicht nur an Hochschulen oder außeruniversitären Forschungsunternehmen wie dem Max-Planck-Institut. Auch Unternehmen sind auf die Weiterentwicklung von Technologien und Produkten angewiesen, um im Wettbewerb bestehen zu können. Klassischerweise betreiben sie zu diesem Zweck eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung (F&E), die auch ein interessantes Berufsfeld für Akademiker:innen bietet, die nach der Abgabe ihrer Doktorarbeit ihre Postdoc-Phase in der freien Wirtschaft verbringen wollen.

Je nach Qualifikation können sie die verschiedensten Aufgaben übernehmen und Positionen besetzen, die in einem – oft internationalen – Team von Wissenschaftler:innen in der anwendungs- und projektbezogenen Forschung anfallen. Sie können im Labor arbeiten, die Postdoc-Stelle kann aber auch die Koordinierung eines Forschungsprojektes zum Inhalt haben. Wer beispielsweise zuvor bereits eine Nachwuchsgruppenleitung an einer Forschungseinrichtung innehatte, kann sich dadurch auch für Leitungspositionen innerhalb eines Forschungsteams qualifizieren.

Hochschule oder freie Wirtschaft: Die inhaltliche Ausrichtung der jeweiligen Jobs unterscheidet sich in der Regel sehr. Wer als promovierte:r Berufsanfänger:in in der freien Wirtschaft startet, ist von Anfang an mit der Forschung an Lösungen für ganz konkrete Anforderungen, Prozesse oder Projekte betraut. Grundlagenforschung spielt in diesem Kontext eine sehr untergeordnete Rolle. Dafür sind die Forschungsergebnisse der F&E-Abteilungen für die verschiedensten Bereiche wie Geschäftsführung, Einkauf, Produktion oder Vertrieb wichtig und fließen oft in konkrete Produkte ein, die auf den Markt kommen.

Wer als Postdoc an der Uni tätig ist, arbeitet in der Regel als wissenschaftliche:r Angestellte:r an einem Lehrstuhl oder als wissenschaftliche:r Mitarbeiter:in in einer Forschungsgruppe oder einem Drittmittelprojekt. Neben der Forschung spielt meist auch die Lehre eine große Rolle, denn Postdocs halten Seminare und Übungen für die Studierenden. Dieser Aspekt fehlt bei Postdoc-Jobs in der Industrie. 

Darüber hinaus wird eine Stelle an der Hochschule meist genutzt, um das eigene wissenschaftliche Profil zu schärfen, Netzwerke aufzubauen und Publikationen für die angestrebte Habilitation zu sammeln. Auch dies ist in der Industrie nur eingeschränkt möglich: Während Forschungsergebnisse an der Hochschule für die Allgemeinheit veröffentlicht werden, sind Unternehmen meist nicht an der Veröffentlichung der eigenen Erkenntnisse interessiert. Hier steht eher im Vordergrund, auf die entsprechenden Entwicklungen Patente anzumelden. Wer weiter eine akademische Karriere anstrebt, könnte also gegenüber Kandidaten, die an der Hochschule geblieben sind, Nachteile haben.

Im akademischen Bereich müssen sich Postdocs dafür mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz auseinandersetzen: Es besagt, dass wissenschaftliches Personal maximal zwölf Jahre befristet an der Hochschule beschäftigt werden darf (meistens sechs Jahre für die Promotion und sechs Jahre für die Postdoc-Phase). Statt der Entfristung folgt danach jedoch oft das Ende der wissenschaftlichen Karriere. Mit dieser zeitlichen Deckelung und der damit anschließend drohenden Arbeitslosigkeit müssen sich Postdocs in der Industrie nicht befassen.

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Wenn die Erkenntnisse der Dissertation eher wenig mit den Forschungsaktivitäten im angestrebten Unternehmen zu tun haben, sollten diese im Lebenslauf nicht zu ausschweifend behandelt werden. Stattdessen empfiehlt es sich, von den Bedürfnissen des Unternehmens her zu denken und das Aufgabenprofil aus der Stellenausschreibung zu berücksichtigen.

Zu betonen, warum das Unternehmen gerade die eigenen erworbenen Kompetenzen brauchen kann, hilft dabei, den etwaigen Eindruck des überqualifizierten Theoretikers zu vermeiden. Darüber hinaus ist es für Postdocs bei einer Bewerbung in der Wirtschaft wichtig, jede Art von Praxiserfahrung herauszustellen, egal ob es sich um einen Nebenjob neben der Promotion oder um eine Industriepromotion handelt – auch eine eventuell vor dem Studium absolvierte Ausbildung, eine Werkstudententätigkeit oder Praktika während des Studiums sollten erwähnt werden.  

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Generell ist es besonders in natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fächern verbreitet, als Postdoc in der freien Wirtschaft zu arbeiten – in den Geistes- und Sozialwissenschaften ist es üblicher, als Postdoc an der Hochschule zu bleiben. In der Industrie finden sich also beispielsweise viele Postdocs aus der Biologie, Postdocs aus der Chemie oder der Physik sowie Postdocs aus den Ingenieurwissenschaften wieder. 

Die Unternehmen suchen explizit nach dieser fachlichen Expertise, man muss als Postdoc also keine Kenntnisse in Wirtschaftswissenschaften mitbringen, um einen erfolgreichen Wechsel in die Wirtschaft zu schaffen. Nichtsdestotrotz sind Postdocs, die neben ihren Fachkenntnisse weitere Qualifikationen – beispielsweise in Informationstechnik, BWL oder Sprachen wie Chinesisch – mitbringen, vor allem für verantwortungsvolle Schnittstellenfunktionen auf der Führungsebene besonders gefragt. 

Besonders in zwei Fällen ist ein vorübergehender Wechsel in die Wirtschaft in der Regel sehr lohnenswert – auch wenn anschließend die akademische Karriere weitergehen soll:

Die Ingenieurwissenschaften sind per se sehr anwendungsbezogen. So werden Professuren in diesem Fachbereich gern mit Personen besetzt, die in den F&E-Abteilungen der Industrie gearbeitet haben. Wer nach einem Ausflug in die Wirtschaft weiter die akademische Laufbahn verfolgen möchte, sollte allerdings darauf achten, den Kontakt zur Hochschulwelt und sein wissenschaftliches Netzwerk intensiv zu pflegen – über gemeinsame Forschungsprojekte, Lehraufträge oder die Betreuung von Abschlussarbeiten. Am wichtigsten sind jedoch die Forschungsleistungen inklusive Publikationen und Patenten.

Auch für Postdocs mit dem Berufsziel Fachhochschulprofessur ist es vorteilhaft, die Phase nach der Promotion in der freien Wirtschaft zu verbringen: Hier ist es für eine Berufung in der Regel verpflichtend, einige Jahre in der beruflichen Praxis gearbeitet zu haben (die genauen Regelungen der Bundesländer finden sich in den Landeshochschulgesetzen). Wer parallel Lehraufträge ergattert, macht sich schon während der Zeit im Unternehmen für die umfangreiche Lehrtätigkeit als HAW-Professor:in fit. 

Nicht immer bringt ein vorübergehender Wechsel aber Schwung in die wissenschaftliche Karriere. Besonders in nicht-naturwissenschaftlichen Fachbereichen kann ein Wechsel in die Industrie sogar auch nachteilig sein. Der Aufbau eines wissenschaftlichen Netzwerkes in der Hochschullandschaft ist neben einem Vollzeitjob in einem Unternehmen kaum zu leisten – zeitlich, aber auch, weil Besuche von Hochschul- und länderübergreifenden Fachveranstaltungen fehlen.

Ein weiteres Problem ist, dass die eigenen Forschungsergebnisse in der Regel nicht in den einschlägigen Fachmagazinen publiziert werden, was für eine spätere Habilitation unabdingbar ist. Wenn sie überhaupt veröffentlicht werden: Unternehmen forschen schließlich gemeinhin nicht um der Erkenntnis willen, sondern in erster Linie, um mit den Forschungsergebnissen marktfähige Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln – eine Veröffentlichung der Erkenntnisse und Methoden ist hier kontraproduktiv und somit nicht erwünscht.

Für wen also die akademische Karriere mit Habilitation und Hochschulprofessur das oberste Ziel ist, der sollte sich den kurzen Seitensprung in die freie Wirtschaft gut überlegen. Weil die Arbeitgeber gut qualifiziertes Personal behalten wollen und finanzielle Anreize winken, wird der als vorübergehende Episode geplante Ausflug oft zu einem kompletten Ausstieg aus dem universitären Forschungssystem. Wer es dennoch wagen will, sollte möglichst engen Kontakt zur Hochschule halten – und beim Arbeitgeber für Unterstützung werben, um für Lehraufträge und wissenschaftliche Tagungen und Kongresse freigestellt zu werden.

Neben den karrieretechnischen Vorteilen für einige Bereiche ist es für viele Postdocs auch finanziell reizvoll, die Phase in der freien Wirtschaft statt an der Hochschule zu absolvieren. In letzteren fällt das Einkommen meist wesentlich geringer aus als bei Unternehmen. Häufig ist das Gehalt in der Wirtschaft verhandelbar und hängt von den Qualifikationen und bisherigen Erfahrungen ab – Postdocs haben in ihrem Fachgebiet hier einiges zu bieten. Den regulären Verdienst können Unternehmen durch weitere Vergütungskomponenten und betriebliche Leistungen aufstocken. 

Die Höhe des Gehalts für Postdocs in der Industrie hängt nicht nur von ihrer fachlichen Qualifikation und der Position im Unternehmen ab. Auch die Größe des Unternehmens ist ausschlaggebend: Je mehr Mitarbeiter es hat, desto mehr können Wissenschaftler in der Regel verdienen. Weitere Faktoren sind der Standort und die Branche. Am höchsten fallen die Gehälter in der Pharmabranche aus. 

Pro:

  • Berufspraxis sammeln für eine Fachhochschul- bzw. HAW-Professur
  • Hilfreich für eine Professur in den Ingenieurwissenschaften
  • Höheres Gehalt
  • Weniger prekäre Beschäftigung als in der Wissenschaft
  • Interesse des Arbeitgebers, eingearbeitetes und hoch qualifiziertes Personal zu behalten
  • Ergebnisse der eigenen Forschung sind anwendungsorientiert und kommen auf den Markt
  • Beschäftigung ist nicht per se zeitlich befristet

Kontra:

  • Wenig Zeit für eigene Forschung
  • Veröffentlichungen oft nicht möglich
  • Wenig Möglichkeit, an der Habilitation zu arbeiten
  • Weniger Kontakt zu wissenschaftlichen Netzwerken und an die Hochschule
  • Keine Lehre und somit Lehrerfahrung
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