Forschung in der Industrie
Aufgaben und Chancen für Wissenschaftler in der Wirtschaft

Industrieanlage als Symbolbild fuer Forschung in der Industrie

Wie wird in der Industrie geforscht? © Armin Staudt-Berlin / photocase.de

Die akademische Laufbahn ist nicht die einzige Karriereaussicht für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Auch abseits der Hochschule finden sich interessante Forschungsperspektiven. Ein Wechsel in die freie Wirtschaft bietet neben fachlicher Herausforderung weitere Chancen.

Veröffentlicht: 28.12.2021

Von: Maria Zeitler

Anders als die Grundlagenforschung, die sich vor allem dem Erwerb neuen Wissens ohne direkte praktische Anwendungsmöglichkeit widmet, arbeitet industrielle Forschung gewinnorientiert und zielgerichtet. Sie ist immer darauf ausgelegt, neue Produkte, Verfahren oder Dienstleistungen zu entwickeln oder bestehende zu verbessern, diese zur Marktreife zu bringen und kommerziell zu nutzen.

Industrielle Forschung unterscheidet sich von experimenteller Entwicklung, die nicht neue Erkenntnisse schafft, sondern durch den Erwerb, die Nutzung und Kombination bestehenden Wissens Produkte oder Dienstleistungen gestaltet. Beide Bereiche sind jedoch Teil der Forschung in der freien Wirtschaft – in vielen Unternehmen gibt es dafür die Abteilung Forschung und Entwicklung (F&E), die sich um diese Themen kümmert.

Auch wenn sich industrielle Forschung von wissenschaftlicher Forschung unterscheidet, gibt es oft Kooperationen mit Hochschulen oder außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Wenn sich Unternehmen, Hochschulen, Forschungseinrichtungen und andere Organisationen in einer Region mit einem gemeinsamen Tätigkeitsfeld zusammenschließen, nennt man dies (Kompetenz-)Cluster. In diesen Netzwerken werden Ideen gemeinsam konzipiert, entwickelt und umgesetzt – und so der Prozess bis zur Markteinführung neuer Produkte beschleunigt.

Während große Konzerne viel Geld in Forschung und Entwicklung stecken können, sind gerade kleine und mittlere Unternehmen (KMU) auf die Synergien von Clustern oder auf vorwettbewerbliche Forschung angewiesen: Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sich mehrere Unternehmen zusammenschließen, um einen gemeinsamen Forschungsbedarf zu definieren. Von den Forschungsergebnissen soll die ganze Branche profitieren. Die Forschungsvorhaben dürfen nicht einem einzelnen Unternehmen Wettbewerbsvorteile verschaffen. Die Verwertung der Ergebnisse und ihre Nutzung für neue Produkte oder Dienstleistungen findet anschließend – dann zu Wettbewerbsbedingungen – in den Unternehmen statt. 

Die vorwettbewerbliche Forschung in KMU wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie mit zwei Förderprogrammen unterstützt. Auch Forschungsgemeinschaften wie die Stiftung Industrieforschung und die Zuse-Gemeinschaft verstehen sich als Forschungspartner für den Mittelstand und helfen beim Transfer von Erkenntnissen aus der Wissenschaft in anwendbare Technologien.

Der Staat fördert auch Forschungscluster mit finanziellen Mitteln aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Staat und Wirtschaft haben laut der Webseite des Bundesberichts Forschung und Innovation des Bildungsministeriums im Jahr 2019 insgesamt 110 Milliarden Euro in Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten gesteckt. 

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Die industrielle Forschung ist mit gut 735.000 Beschäftigten (in Vollzeitstellen gerechnet) ein interessanter Arbeitsbereich für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Wer über den Wechsel aus der Universität in die freie Wirtschaft nachdenkt, kann mehrere attraktive Branchen ins Auge fassen. Denn wie der Bericht der Europäischen Kommission zu den industriellen Forschungs- und Entwicklungsausgaben 2020 zeigt, ist Deutschland ein gutes Pflaster für Wissenschaftler, die in der freien Wirtschaft ihrer Forschung nachgehen wollen: Mit 124 gelisteten forschenden Unternehmen und einem Anteil von 9,6 Prozent der weltweit von Unternehmen in F&E investierten Gelder ist die Bundesrepublik mit deutlichem Abstand vor Frankreich (68 Unternehmen, 3,7 Prozent) der wichtigste Forschungsstandort in Europa. 

Die Branchen, in denen besonders viel Geld für Forschung ausgegeben wird – und die damit viel Personal brauchen – sind allen voran 

  • die Automobil- und Transportbranche,
  • die Gesundheitsindustrie und
  • die Informations- und Kommunikationstechnologie. 


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Industrielle Forschung: Balkendiagramm, Forschung und Entwicklung nach Land und Sektor

Forschungs- und Entwicklungsausgaben nach Ländern und Sektoren © Europäische Kommission

Dementsprechend finden sich im Top 50-Ranking der weltweit führenden Unternehmen nach Ausgaben für Forschung und Entwicklung Volkswagen auf dem 6., Daimler auf dem 11. und BMW auf dem 19. Platz. Außerdem – weiter hinten im Ranking, aber weltweit unter den Top 50 – sind Bosch, Siemens, Bayer und SAP zu finden. Mit dem Maschinen- und Fahrzeugbau, der Chemie- und Pharma- sowie die Elektroindustrie zeichnet sich die industrielle Forschung in Deutschland also durch eine hohe Konzentration der Forschungsausgaben auf Branchen der hochwertigen Technologien aus. Außerdem ist Deutschland EU-weit mit großem Abstand Nummer 1, was grüne Innovationen in den vergangenen Jahren angeht. Da im Zuge des Klimawandels die Nachfrage nach nachhaltigen Lösungen weiter steigen wird, können auch diese Unternehmen ein interessantes Tätigkeitsfeld für Forscher werden.

So vielfältig die Branchen sind, in denen geforscht wird, so unterschiedlich können auch die Aufgabenfelder, Tätigkeiten und Berufsfelder sein, in denen junge Wissenschaftler in der freien Wirtschaft Fuß fassen können. Vor allem Entwicklungsingenieure und -ingenieurinnen sind in der Produktentwicklung beschäftigt, doch auch Physiker, Chemikerinnen, Biologen, Wirtschaftsingenieurinnen oder IT-Spezialisten sind hier gefragte Arbeitskräfte. Forschende Pharmaunternehmen beschäftigen für die Entwicklung und Verbesserung von Arzneimitteln und Impfstoffen viele – zumeist promovierte – Naturwissenschaftler, genau wie die Kosmetikbranche. Auch in Führungspositionen gibt es ein weites Spektrum an möglichen Tätigkeiten: So können Wissenschaftler hier ein internationales Team in der projektbezogenen Forschung leiten, Alternativen zu bestehenden Verfahren finden oder Prozesse zwischen Forschungsabteilung, Geschäftsleitung, Produktion und Vertrieb koordinieren.

Wer gerade seine Promotion abgeschlossen hat und mit einem Wechsel in die freie Wirtschaft liebäugelt, kann auch in einem der Postdoc-Programme starten, die große Unternehmen wie Bayer, Sanofi oder Roche anbieten. Letzteres Unternehmen wirbt in der Vorstellung ganz bewusst mit den attraktiveren Bedingungen: „Die Postdocs arbeiten bei Roche mit einer sehr guten Ausstattung und können in der Forschung Dinge ausprobieren, die an der Uni nicht möglich sind.“ Unter anderem bei dem Pharmakonzern gibt es für Forschende auch noch das Expert-Start-Up-Programm, in dem gut ausgebildeter Forschungsnachwuchs mittel- bis langfristig auf eine übergreifende Projektleitung oder eine erste Führungsaufgabe vorbereitet werden soll.

Die Perspektiven für Wissenschaftler in der freien Wirtschaft sind aussichtsreich. Im Gegensatz zur langwierigen, oftmals steinigen akademischen Laufbahn, in der sich viele Forschende in den ersten Jahren von einer befristeten Stelle zur nächsten hangeln und oft mit Teilzeitgehältern begnügen müssen, bietet die industrielle Forschung gute Aussichten auf einen sicheren, gut bezahlten Job. Gerade wer bei einem der großen Konzerne, die entsprechende Forschungsbudgets bereitstellen, eine Anstellung findet, kann auf ein Vollzeitgehalt und ein unbefristetes Arbeitsverhältnis hoffen. Aufstiegschancen zu einer Stelle mit Personalverantwortung sind für Mitarbeitende in der Industrieforschung vorhanden – während die Aussicht, einen Ruf auf eine Professorenstelle zu erhalten, eher gering ist.

Einer der besten Zeitpunkte für den Wechsel ist die Zeit nach der Promotion – der Doktortitel wird für die meisten forschenden Tätigkeiten vorausgesetzt. Wer länger wartet, muss sich gegen Mitbewerbende durchsetzen, die in der entsprechenden Zeit seit der Promotion schon praktische Erfahrungen sammeln konnten. Diese wird gerade Akademikern bei der Bewerbung in der freien Wirtschaft hoch angerechnet. Nach der forschenden Tätigkeit zum Beispiel als Laborleiterin ist eine weitere Karriere in Vertrieb, Marketing oder Personalabteilung nicht ausgeschlossen, wenn man nicht als hoch spezialisierte Expertin weiter forschen will.

Wer die Forschung mit einem gewissen Grad an finanzieller Sicherheit verbinden will, ist in der freien Wirtschaft richtig: Hier fallen die Gehälter in der Regel deutlich höher aus als in – zudem häufig befristeten – Stellen im Hochschulbetrieb. Dennoch differieren die Gehälter auch hier je nach Branche, Bundesland und Unternehmensgröße, weshalb die genannten Werte nur als Orientierung dienen können.

Laut dem StepStone Gehaltsreport 2021 verdienen Mitarbeitende im Bereich Forschung 56.399 Euro brutto im Jahr. Kommt Führungsverantwortung hinzu, steigt das Gehalt um 18 Prozent auf 66.550 Euro. Laut gehalt.de erhält die Hälfte aller „Leiter Forschung und Entwicklung“ ein Gehalt zwischen 46.179 und 75.832 Euro, das heißt, ein Viertel aller Mitarbeiter in dieser Position erzielt ein höheres Gehalt. Auch für den Entwicklungsingenieur und den Bereich Forschung und Entwicklung berichten verschiedene Portale relativ übereinstimmend von rund 70.000 bis 75.000 Euro Jahresgehalt. Besonders gut sieht es in der Pharmaforschung aus, wo recht schnell auch Gehälter im sechsstelligen Bereich erreicht werden. 

Zum Vergleich: Postdocs an Hochschulen und Forschungseinrichtungen werden nach dem Tarifvertrag der Länder (TV-L, in Hessen TV-H) oder dem Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes (TVöD) bezahlt. Je nach Entgeltstufe verdienen sie demnach als Einsteiger knapp 50.000 Euro brutto pro Jahr (E 13, Stufe 1). In der Spitze (E 15, Stufe 6) sind bis zu rund 85.000 Euro möglich. Durchaus ansehnlich, allerdings ist die Anstellung in der Regel projektbezogen und viele Stellen sind Teilzeitjobs. Ein ähnliches Grundgehalt (plus Zulagen) können auch Professoren und Professorinnen erreichen. Ihr Job ist aber sicher und unbefristet: Sie sind häufig auf Lebenszeit verbeamtet.  

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