Frauen in der Wissenschaft: von 1900 bis heute
Frauen wurde die Teilnahme am Wissenschaftsbetrieb deutlich später als ihren männlichen Mitstreitern gewährt. Im Jahr 1900 wurden die ersten Frauen zum Studium in Deutschland zugelassen, 1921 habilitierten die ersten weiblichen Wissenschaftlerinnen in Deutschland. Die erste Professorin an einer deutschen Universität war Margarete von Wrangell, die ab 1923 den Lehrstuhl für Pflanzenernährungslehre an der Landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim innehatte.
Im Laufe des 20. Jahrhunderts kam Bewegung in die Gleichstellung der Frauen in der Wissenschaft. Nicht zuletzt die Anstrengungen zahlreicher feministischer Bewegungen, Förderprogramme und Initiativen führten zu realen Veränderungen.
Der Frauenanteil an Universitäten und Hochschulen
Heute sind rund die Hälfte aller Studierenden Frauen: Laut Statistischem Bundesamt lag der Frauenanteil der Studierenden in Deutschland im Wintersemester 2021/2022 bei 50,2 Prozent. Unter den Promovenden an deutschen Hochschulen lag der Anteil an Frauen 2020 bei rund 45 Prozent. Ein deutliches Missverhältnis zeigt sich in der weiteren Karriere nach der Promotion: Der Anteil an Frauen, die habilitierten, lag 2020 bei 35 Prozent. Noch niedriger war der Anteil hauptberuflicher Professorinnen. Er lag bei 26,3 Prozent.
Laut Einschätzungen der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) ist einer der Hauptfaktoren für den Rückgang des Frauenanteils im Laufe der wissenschaftlichen Karriere die Familiengründungsphase im Alter zwischen 30 und 40 Jahren. Viele Frauen stemmen häufig noch die Promotion mit Kind, anschließend zeigt sich jedoch eine deutliche Reduktion der Zahlen weiblicher Wissenschaftlerinnen.
Laut der GEW sind neben dem Faktor Familienplanung noch weitere Gründe für den stetigen Rückgang von Frauen aus wissenschaftlichen Karrieren verantwortlich:
- In der Wissenschaft herrschen nach wie vor perspektivisch unsichere und instabile Arbeitsbedingungen. Häufig hindert diese Situation vor allem Frauen – auch wegen einer potenziellen Familienplanung – daran, eine wissenschaftliche Karriere anzustreben.
- Der Wissenschaftsbetrieb mit seinem nach wie vor vertikal angelegten Karriereweg ist mit vielen zeitgemäßen Lebensentwürfen nicht mehr vereinbar.
- Als dritten Faktor erfasst die GEW die Mystifikation der Wissenschaft: Nach wie vor gilt das Narrativ, die Wissenschaft sei weniger ein Beruf als eine Art Lebensform, in der es keinen Feierabend gebe und der man sich, lässt man sich auf diese Art Karriere ein, voll und ganz hingeben müsse.
Der Rückgang des Frauenanteils im Laufe der wissenschaftlichen Karriere lässt sich anhand von Beispielen aus verschiedenen Fächergruppen beziffern.
Frauen sind während des Studiums und der darauffolgenden akademischen Laufbahn überproportional in geisteswissenschaftlichen Fachbereichen eingeschrieben. Geisteswissenschaftlerinnen sind auf dem Arbeitsmarkt allerdings nicht ganz leicht zu vermitteln, da Absolventinnen und Absolventen häufig Spezialisierungen innerhalb ihrer Disziplin fehlen. Auch die Gehaltsaussichten für Geisteswissenschaftlerinnen sind im Vergleich zu denen von Medizinern oder Wirtschaftswissenschaftlerinnen mäßig. Laut Statistischem Bundesamt lag das durchschnittliche Bruttoeinstiegsgehalt von Geisteswissenschaftlerinnen mit Hochschulabschluss 2021 bei rund 35.600 Euro, während Medizinerinnen im ersten Jahr durchschnittlich rund 56.700 Euro verdienen.
Insbesondere in der medizinischen und mathematisch-naturwissenschaftlichen Forschung verringert sich der Frauenanteil nach der Promotion erheblich. Die Mathematikerin Helena Mihaljević und die Physikerin Lucía Santamaría haben 2018 in ihrer Studie zum „Gender Gap in Science“ herausgearbeitet, was es insbesondere in den nach wie vor männlich dominierten Fachdisziplinen bedeutet, die Karriereleiter zu erklimmen. Was generell im Wissenschaftsbetrieb gilt, wird Frauen in männerdominierten Fachdisziplinen besonders erschwert: Wer nicht regelmäßig und in einschlägiger Fachliteratur seiner Disziplin publiziert und dann auch selbst von anderen Fachkolleginnen und -kollegen zitiert wird, hat es schwer, im Wissenschaftsbetrieb aufzusteigen.
Nach Einschätzung von Thomas Vogt, Pressesprecher der Deutschen Mathematiker-Vereinigung, liegt genau in diesem Punkt die Herausforderung: Insbesondere im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich sind antiquierte Geschlechterstrukturen nach wie vor präsent. Veraltete Denk- und Handlungsmuster resultieren darin, dass männliche Wissenschaftler in ihrem männlich dominierten Umfeld eher Männer empfehlen, fördern und zitieren. Auch deshalb gilt: Wer sich für eine akademische Laufbahn entscheidet, sollte aktiv wissenschaftliche Netzwerke aufbauen und pflegen sowie Drittmittel zur Forschungsförderung akquirieren können.
Freie Wirtschaft: Frauen in der forschenden Industrie
In Deutschland arbeiten rund 735.000 Vollzeitbeschäftigte in der industriellen Forschung. Laut Daten des Statistischen Amtes der Europäischen Union (Eurostat) lag der Frauenanteil in der gesamten industriellen Forschung in Deutschland im Jahr 2019 bei 14,8 Prozent. Der größte Zweig der Industrieforschung, die Automobilbranche, ist nach wie vor – ähnlich wie die mathematisch-naturwissenschaftlichen Forschungsbereiche an Unis und Hochschulen – geprägt von einer überwiegend männlich beeinflussten Unternehmenskultur.
Das Marktforschungsinstitut Dynata hat 2020 im Auftrag von PwC Strategy& GmbH eine Umfrage unter Automobilmanagern in Deutschland durchgeführt. Diese ergab, dass lediglich 44 Prozent der Befragten eine Chance darin sehen, vermehrt Frauen in Führungspositionen in der Automobilbranche zu holen. 36 Prozent der Befragten schätzten es gar als ein „Hemmnis für die strategische Ausrichtung der Unternehmen“ ein.
Vermehrt werden auch in der Automobilbranche Maßnahmen zur Förderung von Frauen angestoßen und umgesetzt. Die Daimler AG etwa formuliert in ihren Gesamtbetriebsvereinbarungen, die für alle internen Konzerne der AG gelten, Maßnahmen zur Frauenförderung und Chancengleichheit innerhalb der Unternehmen. Sie fördert den Nachwuchs mit der Beteiligung an der Initiative „Girls’ Day“ und bietet Frauen, die bei Daimler nach Führungspositionen streben, Mentoringprogramme und Workshops zur Vorbereitung an.
Die zweitgrößte Branche innerhalb der Industrieforschung in Deutschland ist die Gesundheitsindustrie. Sie weist vergleichsweise optimistische Daten für weibliche Karriereperspektiven auf: Insbesondere, was Jobs in der Pharmaindustrie betrifft, haben Frauen gute Karriereaussichten, auch bis in die Führungspositionen. Sie machen dort insgesamt einen Anteil von 41 Prozent der Vollbeschäftigten aus, dabei ist jede dritte Führungskraft in der Pharmaindustrie weiblich.