Nachwuchswissenschaftler müssen Präsenz zeigen
"Im Vergleich zur Industrie sind die Aussichten auf feste, gut bezahlte Stellen natürlich deutlich schlechter", gibt auch Dr. Julia Pongratz zu. Die 31-jährige Geographin befindet sich inmitten ihrer Postdoc-Phase und weiß um die Schwierigkeiten in der Forschung. Nach ihrer Promotion über den "menschlichen Einfluss auf das Klima vor der Industrialisierung" an dem renommierten Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg ging sie nach Stanford und arbeitete dort an einem eigenen Forschungsprojekt. "Die Arbeit als Forscher ist frei, kreativ und ungemein erfüllend. Das Gefühl, die Wissenschaft in meinem speziellen Bereich ein Stück voranzubringen, ist dabei eine große Motivation", erklärt Pongratz ihre Entscheidung für die Wissenschaft. Während ihrer Arbeit in Hamburg und Stanford konnte sie auch den Grundstein für eine Karriere in der Wissenschaft legen: Sie hat viel beachtete Publikationen und Artikel in high ranked Journals veröffentlicht, Erfahrung mit der Leitung eigener Forschungsprojekte im In- und Ausland gesammelt und gute Kontakte innerhalb ihres Fachbereichs geknüpft. Für Nathalie Huber vom iFQ sind diese Dinge wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche wissenschaftliche Karriere. "Die jungen Forscher müssen für ihre Karriere wissenschaftliche Akzente setzen, Präsenz zeigen, sich auch international einen Namen machen und erfolgreich netzwerken."
Die Karrierechancen als Flaschenhals
Eine Garantie auf eine spätere Professur gibt jedoch auch der gute Ruf als Forscher nicht. In keinem europäischen Land gibt es so wenig unbefristet angestellte Wissenschaftler wie in Deutschland, Experten sprechen in Sachen Karriere sogar von einem Flaschenhals-Problem. "Wer den Sprung auf eine Professoren-Stelle nicht schafft, sitzt häufig zwischen den Stühlen", erklärt auch Huber. Nach zehn Jahren in der Wissenschaft und mit Mitte vierzig sind die Bewerber für die Wirtschaft kaum interessant und unbefristete Stellen im akademischen Mittelbau sind selten. Professur oder gar nichts - eine Feststellung, die längst nicht überall gilt. "In den USA gibt es mit dem Tenure-Track-System für Nachwuchswissenschaftler gute Stellen mit Aussicht auf Festanstellung. Solche Möglichkeiten gibt es in Deutschland nur selten", berichtet Julia Pongratz. Auch in England oder Frankreich gibt es mit den Lecturer- bzw. Maitre de conférences-Stellen verantwortungsvolle Positionen für Wissenschaftler ohne Habilitation.
Welche Auswirkungen die Schieflage in Deutschland habe kann, zeigen aktuelle Untersuchungen, denen zur Folge es zunehmend schwieriger wird, geeignete Kandidaten für Postdoc-Stellen zu finden. Rund 70.000 Stellen in der Forschung können derzeit nicht besetzt werden. Die Alternativen, sprich eine Stelle in einer wissenschaftlichen Einrichtung im Ausland oder der Wechsel in die Wirtschaft, sind für High Potential einfach attraktiver.
Förderung, bessere Arbeitsbedingungen und neue Positionen
Inzwischen hat man aber auch hierzulande diese Probleme erkannt. "Es tut sich etwas", bestätigt Nathalie Huber. "Die Forschungsförderung wurde gesteigert, man arbeitet an der Verbesserung der Arbeitsbedingungen und es wurden neue Positionen wie der Nachwuchsgruppenleiter oder die Juniorprofessur geschaffen." Darüber hinaus gibt es zum Beispiel immer mehr Stipendien und Förderprogramme für Postdocs aus dem In- und Ausland. Diese Programme haben einiges verändert: Sei es die Realisierung eines eigenen Projekts über drei bis fünf Jahre oder der Aufbau einer kompletten Forschungsgruppe. Trotzdem steht diese Entwicklung noch am Anfang, wie Huber erklärt. "Die schlechte Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie ist immer noch vorhanden und die Alternativen zur Professur noch nicht zahlreich genug. Trotzdem gibt es ganz klar positive Tendenzen."
Wirtschaftskrise stoppt den Brain Drain
Aufschwung kommt dabei ausgerechnet durch die Krise der internationalen Wirtschaft. Europäische Nachbarländer wie Spanien, Portugal und Griechenland leiden unter großen Staatsschulden und kürzen deshalb ihre Hochschuletats. Selbst in den USA fließt für junge Wissenschaftler längst nicht mehr nur Milch und Honig. Etatkürzungen und Stellenstreichungen sind auch hier inzwischen Alltag. Deutschland rückt als Wissenschaftsstandort dank seines Rufes als stabile Wirtschaftsmacht wieder vermehrt in den Fokus und kann sich über eine steigende Beliebtheit unter Postdocs aus aller Welt freuen. Auch Julia Pongratz hat Angebote aus den USA ausgeschlagen und ist zum Max-Planck-Institut nach Hamburg zurückgekehrt. Eine Entscheidung, die die 31-Jährige nicht bereut: "Ich forsche an spannenden Themengebieten arbeite mit Kollegen zusammen, die weltweit zur Spitze der Klimaforschung gehören, und finde am Max-Planck-Institut ideale infrastrukturelle Arbeitsbedingungen." Doch nicht nur die beruflichen Faktoren haben ihre Rückkehr beeinflusst. "Natürlich fühlt man sich der Heimat kulturell verbunden. Auch solche Aspekte spielen für mich bei der Wahl des Karriereweges eine große Rolle."