Berufseinstieg Geisteswissenschaftler
Berufseinstieg als Geisteswissenschaftler: Arbeitsmarkt, Orientierung und Berufsfelder

Gruene Blätter Symbolbild Berufseinstieg Geisteswissenschaftler

Wie gelingt der Berufseinstieg als Geisteswissenschaftler? © Luke Carliff / unsplash.com

Geisteswissenschaftler und Geisteswissenschaftlerinnen brauchen meist etwas länger, um auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Wie und wo der Berufseinstieg gelingen kann, lesen Sie hier. 

Veröffentlicht: 05.04.2022

Von: Nina Nestler, Nina Heitele

Im Gegensatz zu den Naturwissenschaften, die sich auf empirische Erfahrungen stützen, untersuchen Geisteswissenschaften vor allem kulturelle und historische Phänomene, die analysiert und interpretiert werden. Duden definiert die Geisteswissenschaften als Lehre, die sich mit den verschiedenen Gebieten der Kultur und des geistigen Lebens auseinandersetzt. Das Buch „Praktikum!: Chancen nutzen – ein Ratgeber für Studierende der Geisteswissenschaften“ der Autoren Ulrike Job, Nadia Blüthmann und Christoph Fittschen erläutert es noch etwas genauer:

„Unter dem Begriff Geisteswissenschaften werden Fächer wie Sprachwissenschaft, Literaturwissenschaft, Kulturwissenschaft, europäische bzw. außereuropäische Einzelphilologien und deren Kulturraum, Klassische Philologie, Indogermanistik, Philosophie und Theologie/Religionswissenschaft, Geschichte, Kunst- und Musikgeschichte, Kulturkunde, Ethnologie, Völkerkunde und Medienwissenschaft zusammengefasst. Auch Anteile anderer Fächer – wie etwa Pädagogik oder eine nicht naturwissenschaftlich ausgerichtete Psychologie – können zu den Geisteswissenschaften gerechnet werden.“

Außerdem zählen viele sogenannte Orchideenfächer zu den Geisteswissenschaften, wie beispielsweise Finno-Ugristik, Keltologie oder Onomastik (Namensforschung). Eine eindeutige Zuordnung der einzelnen Fächer ist allerdings nicht immer möglich.

Nach dem Masterabschluss suchen Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftler mit bis zu sechs Monaten länger nach einem Job als der durchschnittliche Masterabsolvent, der drei bis vier Monate sucht, heißt es im Blickpunkt Arbeitsmarkt 2017, einem Bericht der Bundesagentur für Arbeit. Grund dafür ist unter anderem, dass ein Abschluss in geisteswissenschaftlichen Fächern selten direkt berufsqualifizierend ist – explizit für Geisteswissenschaftlerinnen ausgeschriebene Stellen sind eher eine Ausnahme. Und dennoch stehen die Berufschancen für Absolventen besser als oftmals angenommen.

„Studierenden der Geisteswissenschaften stehen sehr viele Tätigkeiten offen. Diese Vielfalt verunsichert“, weiß Christoph Fittschen, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Arbeitsstelle Studium und Beruf der Fakultät für Geisteswissenschaften an der Universität Hamburg sowie Mitautor des oben genannten Buches. „Für Externe sieht es vielleicht so aus, dass Studierende der Geisteswissenschaften lediglich einen bunten Strauß an schöngeistigen Veranstaltungen belegt haben. Tatsächlich erwerben sie in ihrem Studium durchaus umfassende Methodenkenntnisse und Schlüsselqualifikationen. Sie sind sozusagen Generalistinnen und Generalisten." 

Es empfehle sich, bereits während des Studiums ein Profil zu erarbeiten und sich darüber klar zu werden, in welche Richtung es gehen soll. Neben einer gezielten Auswahl der Veranstaltungen sind aber auch Länge des Studiums, Abschlussnote, Ruf der Universität, Zertifikate und vor allem auch Berufserfahrungen sowie Praktika entscheidende Faktoren.

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Ihr Ruf als arbeitslose Akademiker eilt den Geisteswissenschaftlern oft voraus. Zwar fällt die Arbeitslosenquote nach dem Studium bei Geisteswissenschaftlerinnen etwas höher aus als in anderen Fachrichtungen, bleibt aber insgesamt auf einem niedrigen Niveau. Laut Blickpunkt Arbeitsmarkt von Juli 2021 ist sie in den letzten Jahren sogar gesunken und war 2020 um 17 Prozent geringer als noch zehn Jahre zuvor. Das dürfte auch auf die zunehmende Flexibilität der Absolventinnen bei der Wahl des Arbeitsfeldes zurückzuführen sein. Lag die Arbeitslosenquote für studierte Sprach- und Literaturwissenschaftler bei 3,4 Prozent und für Geschichtswissenschaftlerinnen bei 4,1 Prozent, belief sich die Quote derjenigen, die ausschließlich eine Tätigkeit als Geisteswissenschaftler suchen auf 20,8 Prozent.

Welcher Abschluss die Chancen auf einen sicheren Berufseinstieg erhöht, ist nicht eindeutig. „Diese Frage betrifft höchst individuelle Entscheidungen hinsichtlich der eigenen Ansprüche und der Berufswahl. Es wäre hier also vorerst abzuklären was die eigenen Interessen sind“, rät Christoph Fittschen. Für viele Tätigkeiten, die Studierende der Geisteswissenschaften ergreifen können, genüge ein Bachelor. Unumgänglich sei ein Master in der Wissenschaft – und auch wer Karriere machen und Führungspositionen erlangen möchte, sollte eher über einen Master nachdenken.

Ob ein Bachelor, Master oder Doktortitel bei der Jobsuche von Absolventinnen der Geisteswissenschaften sinnvoll ist, lässt sich demnach nicht pauschal beantworten. Allerdings verdeutlicht der IW-Report 32/19 des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln), dass die Beschäftigungsbilanz für promovierte Geisteswissenschaftler durchweg positiv sei. Die mit der Promotion unter Beweis gestellten Fähigkeiten und die offensichtlich hohe Leistungsbereitschaft seien Eigenschaften, die einen Karriereverlauf grundsätzlich positiv beeinflussen.

Dem Report zufolge sind eine Promotion sowie zunehmende Berufserfahrungen Faktoren, die die Gehaltsposition der Geisteswissenschaftler deutlich verbessern. So erreichen Geisteswissenschaftler in Vollzeit am häufigsten leitende Aufgaben, wenn sie über eine Promotion verfügen. Nahezu jeder zweite Geisteswissenschaftler mit Doktortitel (49,8 Prozent) ist entweder Führungs- oder Aufsichtskraft und erreicht damit häufiger höhere Positionen als der Durchschnitt der Akademiker. Im Vergleich dazu schneiden Masterabsolventen mit 27,3 Prozent und Bachelorabsolventen mit 23,4 Prozent in ähnlichen Positionen deutlich schlechter ab.

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„Was will ich, und – vor allem – was kann ich?“ Zu einem erfolgreichen Berufseinstieg als Geisteswissenschaftlerin gehört es, sich über die eigenen Qualifikationen und Kompetenzen klar zu werden. Wer zum Beispiel weiß, dass er dank seines Geschichtsstudiums eine hohe Analysefähigkeit mitbringt, kann Stellenanzeigen auf sein Profil hin durchsuchen. Für gezieltere Bewerbungen ist es hilfreich, herauszuarbeiten, welche fachlichen Schwerpunkte die eigene Universität im Vergleich zu anderen Hochschulen hat, was die eigene Fächerkombination für Vorteile birgt und welche Zusatzqualifikationen man besitzt, wie beispielsweise Fremdsprachen- oder IT-Kenntnisse oder bereits vorhandene etwaige Berufserfahrungen.

Wer frühzeitig weiß, in welche Richtung es gehen soll, kann bereits während des Studiums gezielt ein Netzwerk aufbauen. In den Medien – laut der Agentur für Arbeit eine der typischen Branchen für Geisteswissenschaftler – werden zum Beispiel viele Stellen über den verdeckten Arbeitsmarkt (Stellenbesetzung ohne Ausschreibung), speziell über persönliche Kontakte, vergeben. „Wenn durch Jobben, Praktika oder auch Ehrenämter während des Studiums bereits Kontakte geknüpft werden, das Profil also in eine Richtung ausgebildet wird, erleichtert das den Berufseinstieg“, bestätigt auch Herr Fittschen von der Universität Hamburg.

Um das eigene Netzwerk systematisch bei der Jobsuche einzubeziehen, sollten die Kontakte über den geplanten Berufseinstieg unterrichtet und eventuell um Unterstützung gebeten werden. Mit Fragen danach, wie dem Gegenüber der Jobeinstieg gelungen ist, was eigentlich die konkreten Aufgabenfelder und welche Fähigkeiten besonders gefragt sind, betreibt man Marktforschung in eigener Sache. Daneben halten auch Jobportale wie der ZEIT Stellenmarkt oder academics.de attraktive Stellenangebote für Geisteswissenschaftlerinnen bereit.

Wer als Geisteswissenschaftler auf der Suche nach seinem ersten Job ist, muss zwischen den Zeilen lesen, denn Berufe für Geisteswissenschaftler werden fast nie als solche ausgeschrieben. Bei der Stellensichtung lohnt es sich deshalb, den Blick zu weiten. Manchmal verstecken sich hinter Berufsbezeichnungen, die einem spontan gar nichts sagen, passende Stellen oder zumindest Anknüpfungspunkte für einen Quereinstieg.

Denn Geisteswissenschaftler erwerben während ihres Studiums einige überfachliche Kompetenzen, die sie für ein breites Aufgabenfeld qualifizieren. Dem Fachbereich Sprache, Literatur und Medien der Universität Hamburg zufolge sind das unter anderem: kultursensibles Verstehen und Handeln, Teamfähigkeit, eine fundierte kritische Recherche- und Informationskompetenz sowie kreative Projektmanagementkompetenz und eine ausgeprägte Verstehens- und Vermittlungskompetenz. „Wenn Firmen Studierende der Geisteswissenschaften einmal eingestellt haben, haben sie zumeist in der Zukunft auch gerne auf diese Leute zurückgegriffen, da sie sich von den Fähigkeiten und Kompetenzen überzeugen konnten“, berichtet Christoph Fittschen.

Mit diesen Fähigkeiten finden Geisteswissenschaftler beispielsweise Tätigkeiten im Öffentlichen Dienst, zum Beispiel an Hochschulen, in Bibliotheken oder Behörden, aber auch in der freien Wirtschaft. Darunter fallen Aufgabenfelder aus den Bereichen Werbung, Marketing, Journalismus, Erwachsenenbildung, Coaching, Personalberatung oder auch im Projektmanagement. 

Weitere mögliche Arbeitgeber können Stiftungen, Vereine, Theater, Hörfunk, die Film- und Musikbranche, Verlage, Übersetzungsdienste oder der Tourismussektor sein. Auch der Bereich der Digital Humanities gewinnt zunehmend an Bedeutung. Die digitalen Geisteswissenschaften stellen eine Schnittstelle zwischen Informatik und Geisteswissenschaften dar und ermöglichen beispielsweise Jobs als Data Scientists. 

Eine Option für Geisteswissenschaftler kann auch der Quereinstieg als Lehrer sein. Wer merkt, dass er gerne mit Kindern oder Jugendlichen arbeiten möchte, kann unter bestimmten Voraussetzungen und bei entsprechendem Bedarf ohne ein Lehramtsstudium an einer Schule tätig werden.

Jobcoachs empfehlen Geisteswissenschaftlern, eine Mappe anzulegen, in der Stellenausschreibungen von Traumjobs gesammelt werden. Damit lässt sich ein Überblick darüber gewinnen, welche Anforderungen die gewünschten Stellen haben und welche Qualifikationen einem vielleicht noch fehlen. So können beispielsweise für eine Theaterwissenschaftlerin Weiterbildungen in Projektmanagement, BWL oder Social Media für eine Stelle in den Bereichen PR oder Eventmanagement an einem Theater bessere Argumente sein als ein Masterabschluss mit Auszeichnung. Wer sich allgemein für Öffentlichkeitsarbeit interessiert, punktet vielleicht mit erfolgreich absolvierten Photoshop- oder InDesign-Kursen; betriebswirtschaftliche Kenntnisse öffnen Möglichkeiten im Projektmanagement.

Die längere Phase der Jobsuche können Geisteswissenschaftler dafür nutzen, sich im Rahmen von Weiterbildungsmaßnahmen zu spezialisieren. Wer bei der Agentur für Arbeit oder beim Jobcenter arbeitssuchend oder arbeitslos gemeldet ist, hat Anspruch auf einen Bildungsgutschein, mit dem die Finanzierung von Weiterbildungen sowie Jobcoachings möglich ist. Wer noch an einer Hochschule eingeschrieben ist, kann außerdem von Bewerbungs- und Präsentationstrainings profitieren. So bietet das Career Center der Universität Hamburg beispielsweise Absolventinnen noch bis zu zwei Jahren nach Abschluss einen Bewerbungsunterlagencheck sowie Workshops zu diesem Thema an.

Darüber hinaus bieten viele Unternehmen auch spezielle und individuelle Traineeprogramme, die sich direkt an Geisteswissenschaftler wenden. Als Trainee finden die Absolventen so einen fundierten und gezielten Start in den verschiedensten Bereichen.

Wer auch nach dem Studium an der Universität bleiben möchte, sollte frühzeitig die Weichen für eine akademische Laufbahn stellen. Als wissenschaftliche Hilfskraft bereits persönlich mit Dozenten und Professorinnen in Kontakt gestanden zu haben ist von Vorteil, wenn es nach dem Masterabschluss darum geht zu promovieren und eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter oder später Nachwuchsgruppenleiter (Postdoc, Akademischer Rat) zu bekommen. Die Wege zur Professur können in den Geisteswissenschaften zwar unterschiedlich aussehen. Wer aber einen Ruf auf einen Lehrstuhl erhalten möchte, kommt um die Promotion und in der Regel auch um eine Habilitation oder habilitationsähnliche Qualifikationen nicht herum. 

Wissen sollten Nachwuchswissenschaftler dabei, dass laut dem Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2021 (kurz: BuWiN) 91 Prozent der Mitarbeitenden des Hochschulpersonals in den Geisteswissenschaften unterhalb der Professur und unter 45 Jahren nur auf Zeit angestellt waren.

Wissenschaftliche Mitarbeiter: Balkendiagramm, Anteil der Hauptberuflichen auf Zeit an Hochschulen

Abb. 1: Statistisches Bundesamt (2020): Personal an Hochschulen, Sonderauswertung, Wiesbaden © BuWiN 2021

Grund hierfür sind in der Regel die projektbezogenen, befristeten Verträge – ein wenig planbares und oftmals auch prekäres Arbeitsverhältnis. Die Chancen auf einen Lehrstuhl und damit die mit der Verbeamtung einhergehende Sicherheit sowie ein gutes Professorengehalt sind – wie in allen Fachbereichen – eher gering. 

53 Prozent der Mitarbeitenden des Hochschulpersonals in den Geisteswissenschaften unterhalb der Professur und unter 45 Jahren arbeiteten zudem in Teilzeit (2018).

Wissenschaftliche Mitarbeiter: Balkendiagramm, Anteil der Hauptberuflichen auf Teilzeit an Hochschulen nach Fächern und Alter

Abb. 2: Statistisches Bundesamt (2020): Personal an Hochschulen, Sonderauswertung, Wiesbaden © BuWiN 2021

Hier zeigt sich eine große Differenz im Anteil der in Teilzeit arbeitenden Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftlern im Vergleich beispielsweise zu den Ingenieurwissenschaften. Einer der Gründe hierfür könnte sein, dass der Anteil an weiblichen Wissenschaftlerinnen in den Geisteswissenschaften deutlich höher ist als in den Ingenieurwissenschaften. Frauen arbeiten nach wie vor häufiger in Teilzeit als ihre männlichen Kollegen.

Laut Stepstone Gehaltsreport für Absolventen 2020/21 liegt das Bruttodurchschnittsgehalt von Studierenden der Philosophie und Geisteswissenschaften bei 36.540 Euro. Dabei verdienen Männer mit 38.121 Euro immer noch mehr als Frauen mit 35.820 Euro. Geschichts- und Kulturwissenschaftler verdienen mit einen Durchschnittsgehalt von 39.367 Euro brutto im Jahr etwas mehr. 

Dem Report zufolge macht sich auch der Abschluss beim Einkommen bemerkbar: Während Bachelorabsolventen 35.134 Euro Einstiegsgehalt bekamen, erzielten Studierende mit einem Master mit 36.531 Euro etwas mehr Jahresgehalt. Im Vergleich zu Absolventen andere Fachrichtungen, wie beispielsweise Wirtschaftsinformatiker oder Ingenieurinnen, erhielten Geisteswissenschaftler rund 4.000 bis 10.000 Euro weniger Einstiegsgehalt im Jahr. Mit zunehmender Berufserfahrung und Position steigen allerdings auch die Gehälter von Geisteswissenschaftlern.

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